Eine Rezension von Ursula Reinhold


cover  

Heimkehr ins veränderte Berlin

 

Peter Schneider: Eduards Heimkehr
Roman.

Rowohlt.Berlin, Berlin 1999. 406 S.

 

Peter Schneider, seit 1961 in Westberlin lebend, hat zunächst Stationen der Studentenbewegung als Ideologe mitvollzogen. Seit den siebziger Jahren begann er, sich mit den Illusionen und mentalen Wirrungen dieser Bewegung literarisch auseinanderzusetzen, wovon die Erzählung Lenz (1973) Zeugnis ablegt. Mit Schon bist du ein Verfassungsfeind. Das unerwartete Anschwellen der Personalakte des Lehrers Kleff (1975) dokumentiert er die Berufsverbotspraxis in der Bundesrepublik und wird zugleich ein zunehmend kritischerer Betrachter der Menschenrechtsverletzungen in der DDR. In der Erzählung Der Mauerspringer (1982) macht er die Existenz der Mauer zum Ausgangspunkt eines Denkexperiments, um herauszufinden, welchen Einfluß sie auf das Leben der Menschen hat, die durch sie getrennt leben. Er führt in skizzenhaften Erzählungen Fälle vor, in denen sich die Leute weigern, ihre Realität zu akzeptieren, und eine dritte Variante ihrer Existenz erproben. Es war dies eine spielerische Vorwegnahme ihres Verschwindens. Die kritische Aufmerksamkeit des Autors gilt hier aber vor allem den Intellektuellen diesseits und jenseits der Mauer, deren Verfassung er als Denkprodukte ihrer Staaten und Ideologien darstellt. Er konstatiert hieran, daß es länger dauern wird, die Mauer im Kopf einzureißen, „als irgendein Abrißunternehmen für die sichtbare Mauer braucht“. (Schneider: Der Mauerspringer)

Eduards Heimkehr knüpft hier und an die erzählte Zeit von Paarungen (1992) an. Schneider läßt seinen Protagonisten Eduard Schneider nach mehrjährigem Amerikaaufenthalt nach Berlin zurückkehren, das er 1990 mit seiner italienisch-amerikanischen Frau Jenny und den drei Kindern fluchtartig verlassen hatte. Aus dem distanzierten Blickwinkel des Heimkehrenden wird von den Veränderungen in der vom Bauboom aufgewühlten Stadt erzählt. Der Autor verwickelt seinen Protagonisten in befremdliche Situationen, die den in mannigfache Irritationen stürzen. Dabei gelingt es ihm, Berlin mit seinen geschichtlichen Hypotheken, mit seinen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit herrührenden Narben, mit seinen aktuellen Veränderungen, den Fassadensanierungen und aufgewühlten Straßen im Osten, Zügen von Entmodernisierung und Verslumung im Westen anschaulich zu machen. Es wird deutlich, daß der Fall der Mauer nicht nur Ostberlin, sondern auch die beschauliche Provinzialität des früheren Westberlin verändert hat. Eduard, sein Protagonist, wird zum Beobachter der Veränderungen im Stadtbild, notiert Eindrücke von Plattenbauten und Neubausiedlungen in Buch, skizziert die Lichtenberger Häuserfluchten, Irrgänge für den Reisenden am Alexanderplatz, Veränderungen auch in Charlottenburg, am Gendarmenmarkt und in der Tiergartener Kneipenszene. Vom Weinhaus Huth aus, wird das gigantische Baugeschehen am Potsdamer Platz festgehalten. Allerdings ist Eduard mehr als ein Flaneur, er soll nach dem Willen seines Schöpfers ein unverwechselbares Ich sein, ist aber leider nur eine Kopfgeburt geworden.

„Der Boden, auf dem er sich bewegte, war nicht fest. Man meinte, auf Asphalt zu gehen, und sackte unversehens ab, watete in unterirdischen Gewölben und Tunneln herum und hielt Tonnengewölbe über sich für den Himmel. Die Ausschachtungen überall, die Baulöcher, die künstlichen Seen im Berliner Erdreich kamen Eduard jetzt vor wie leichtsinnig geöffnete Einstiege in eine Stadt unter der Stadt. Geister krochen aus ihnen hervor und hängten sich an die Fußgelenke der Lebenden, irritierten ihren Gang, umklammerten ihre Hirne. Anscheinend merkten die für Umweltgefahren sonst so hochsensiblen Einheimischen nichts von diesen unterirdischen Energien, die, wie ein geruchloses Gas, Verdächtigungen, Häme, Zynismus und Rette-sich-wer-kann-Reflexe freisetzten.“ Gemessen an diesem Befund, wirken die Erfahrungen und Erlebnisse des Protagonisten eher wie Zitate von schon Gewußtem, erscheint seine eigene Situation ohne existentielle Betroffenheit. Zwei Dinge führen Professor Eduard Hoffmann zurück: Er will im Institut für Molekularbiologie in Buch eine Stelle als Wissenschaftler antreten und hat durch seinen Anwalt erfahren, daß er zusammen mit seinem Bruder Erbe eines Mietshauses in der Rigaer Straße ist. Schneider baut mehrere thematische Stränge um seinen Protagonisten auf. Da ist einmal die Situation der Ostwissenschaftler in Buch, das Schicksal von Leuten, denen wegen politischer Unangepaßtheit der Zutritt zu internationalen Kongressen verwehrt war und die so keinen internationalen Ruf aufbauen konnten, während andere, clever und angepaßt, ihre wissenschaftliche Karriere organisiert haben. Viel vermag Schneider über das Wissenschaftlermilieu in Buch nicht mitzuteilen, die inneren Verhältnisse der durch Abwicklung und Konkurrenz bestimmten neuen Situation werden wenig plastisch. Dafür gewinnt er an Hand dieses Milieus die Gelegenheit, weltanschauliche Diskussionen führen zu lassen. Sein Protagonist wird in Debatten über verhaltenssteuernde Gene, über das Vorhandensein eines menschlichen Aggressionstriebes, über Wissenschaftsethos bzw. über wissenschaftliche Zukunftserwartungen verwickelt. Einstweilen ist er in Buch ohne ernsthafte Beschäftigung, verfaßt Gutachten für reichlich schrullige Tierschützer. Aber dieses Milieu treibt ihm eine Geliebte zu, bei der absichtsvoll unklar bleibt, ob sie östlich oder westlich sozialisiert wurde. Bei ihr läßt der Autor seinen Protagonisten die bei der eigenen Frau Jenny arg gebeutelte Männlichkeit wieder aufrichten. Daß er mit dieser Marina auch noch in Weimar der deutschen Klassik näherkommt, war schon zuviel des Guten. Die Grenze zur Parodie scheint manchmal berührt. So erging es mir auch mit dem thematischen Strang des Hauserbes, der durch Konfrontation mit westdeutschen Hausbesetzern, Brandstiftung und Verunglimpfung als Nazi- Erbe handlungsintensiv inszeniert wird. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen, durch einen neureichen Käufer verursacht, flüchtet Eduard vom Ort des Geschehens und kehrt erst zurück, als er die Gewißheit über seine Erbrechte hat. Dann gelingt auch die gütliche Einigung mit den Besetzern. Hier verwebt Schneider die Geschichte des jüdischen Schuhfabrikanten Marwitz, der - um sein Eigentum gebracht - sich 1935 in Berlin umbringt. Eduard sucht die Nachfahrin, die Tochter des einstigen Besitzers, auf und erfährt von ihr, daß er tatsächlich rechtmäßiger Erbe ist. Er verdankt das Mietshaus einem politisch untadeligen Großvater, der der jüdischen Familie in schwerer Zeit beistand und den die Familie dem Enkel aus moralischer Entrüstung über etliche Seitensprünge verschwieg. Dieses Stück Vergangenheitsgeschichte über das Unrecht an den Juden will gegen die Inflationierung von Schuldzuweisungen in der Literatur die unheroisch gesehene Zivilcourage setzen. Aber die Klischees schimmern auch durch die Gegenklischees. Der dritte thematische Strang bezieht sich auf die Problematik von Intellektuellen, Ostberlinern, die jetzt in Charlottenburg wohnen, während die Westberliner Intellektuellen und Alternativen im Prenzlauer Berg ihre Zelte aufgeschlagen haben. Zur Auseinandersetzung mit dem intellektuellen Zeitgeist nutzt der Autor eine Aufführung der Volksbühne. Gegenüber der szenischen Anhäufung von Gewalt hinterfragt er die Vorstellung, mit solcher Darstellung über reale Gewalt aufklären oder sie gar verhindern zu können. An Theo Warenberg, Schneider entlehnt Züge für dessen Porträt dem Dichter Heiner Müller, zeigt Schneider, wie die ehemaligen Regimekritiker jetzt um den verlorenen Sozialismus trauern und nach Kenntnis ihrer Stasi-Akten die eigenen Wunden lecken. Die Trauerfeier um Theo demonstriert eine allbereite Vereinnahmung von Künstlern. Die Szene steht zwischen Parodie und Ernsthaftigkeit. Die Intellektuellengestalt Theos erscheint in ihrem Selbsthaß und in ihrem Hang zur Selbstzerstörung als Modell deutscher selbstquälerischer Intellektualität. Mit solchen Zügen stattet er auch seinen Protagonisten aus, dessen Irritationen sich allerdings insbesondere auf die Orgasmusschwierigkeiten beziehen, die er bei seiner Frau vermutet. Sie dienen dem Autor zur erzählerischen Distanzierung, er will seine Figur als eine Art Simpel gesehen wissen. Denn er läßt ihn gelegentlich in Fettnäpfe treten und am Ende im Swimmingpool eines fremden Mieters landen, weil er zu einer falschen Tür herausgestolpert war. Der Autor sucht solch selbstquälerischen Hang, komisch zu brechen, stellt ihm die selbstverständliche Lebensfähigkeit von Jenny gegenüber.

Eduard ist eine Spielfigur mit allzu synthetischen Zügen. Durch die Fülle der Situationen, in die der Autor sie stellt, bekommt sie den Charakter einer literarischen Stopfgans, in die alles hinein soll, was die Zeit nach der Wende für Berlin brachte. Für einen Berlinroman eine etwas zu kopflastige Erscheinung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite