Eine Rezension von CRAUSS.


Annäherung an die Biographie eines Künstlers

Ludwig Laher: Selbstakt vor der Staffelei
Erzählung.

Haymon Verlag, Innsbruck 1998, 109 S.

 

Mit heruntergelassenem, um die Hosen gebundenem Hemd, hervorgestrecktem Bauch und schmalbrüstig steht der Maler Victor Emil Janssen vor der Staffelei. Ähnlich schmal wie die Brust im Selbstbildnis kommt die Erzählung Ludwig Lahers daher, aber nicht, weil er nicht wüßte, was er schreiben sollte, sondern weil er sehr präzise, knapp schreibt. Und: weil er versucht, sich mit den wirklich wenigen erhaltenen Anhaltspunkten der Biographie eines Künstlers zu nähern, der in kaum einem Lexikon aufzuspüren ist.

Victor Emil Janssen, Schüler von Peter Cornelius und neben anderen aus dem romantischen Kreis der „Nazarener“ Bewunderer Raffaels, stirbt 1845 achtunddreißigjährig in Hamburg, wo er auch geboren wurde. Das ist fast alles, was man über ihn weiß. Die meisten Werke eigenhändig verbrannt, die restlichen zum großen Teil seinem Freund und zeitweiligen Lebensgefährten Friedrich Wasmann zugeschrieben. In dessen Autobiographie kaum Brauchbares über Janssen. 1988 wird eine bereits 1945 geschriebene Dissertation zu seinem Werk veröffentlicht; die dort beschriebenen Zeichnungen und Gemälde in der Zwischenzeit wiederum verbrannt und verschollen. Eine Geschichte des Verschwindens.

Das ist der Ausgangspunkt für Ludwig Laher, dessen Buch Selbstakt vor der Staffelei nicht nur den Titel eines der Werke Janssens trägt, sondern tatsächlich bis zu einem gewissen Grad auch Selbstakt des Autors ist. Er weiß, daß er seine eigene Person nicht aus der Suche nach Janssen heraushalten kann. Laher wählt den Berichtsstil (die Genrebezeichnung „Erzählung“ klingt eher nach einer Verlegenheitslösung, als glaubte man, ein so schmales Bändchen nicht „Roman“ nennen zu dürfen) -, er wählt den nüchternen Ton des Berichts, um sich ebenso vorm (literarischen) Spiegel auszuziehen, wie der Maler es getan hat. Um in doppelter Distanz, im Blick durch eine doppelte Spiegelung des Schreibens, beide Gesten übereinanderzulegen und sich selbst geradezu zu beobachten auf der Suche nach dem anderen: „Sein Dunkel, aus dem das Weiß blitzt. Es trifft den Spiegel, trifft das Spiegelbild Janssen, den Betrachter seiner selbst, mich.“ Diese Formulierung taucht immer wieder auf zwischen assoziativ entwickelten, sehr kurzen, aber sehr genau verbundenen Absätzen, in denen der 1955 in Linz geborene Autor versucht, zu vergleichen, sich anzunähern: an das fragmentierte Schicksal des Malers und an seine eigene Erinnerung, an die Assoziation zur eigenen Kindheit. Erlebnisse auf dem Bauernhof werden hervorgerufen durch Bildbruchstücke und Skizzen Janssens, gleichzeitig durchschnitten von aktuell Erlebtem: Bachmann-Wettbewerb 1993, zu dem Laher erstmals aus dem „Selbstakt“ las, anschließende Diskussion oder einfach der Moment, in dem er Janssen mit dem Kopiergerät konfrontiert: „Sein Dunkel, aus dem das Weiß blitzt. Es trifft den Spiegel, trifft auf den Lichtblitz des Kopierers. Viel zu dunkel eingestellt, liefert er eine unbrauchbare, schwarzgraue Reproduktion des Selbstakts. Ich will das Blatt zerknüllen, da trifft mich sein Auge wieder. Die Iris, ein winziger weißer Punkt in dieser Finsternis, weiß, nicht hellgrau. Wer ist er?“

Laher stellt Fragen, dokumentiert, wie er zunächst von dem einen Bild, dann vom ganzen Mann angezogen wird, dem gemütskranken, an tuberkulösem Knochenschwund leidenden Maler. Natürlich erfindet er, probiert Szenen aus und Lebensläufe, nimmt sie wieder zurück zur vorsichtigen Frage und so weiter. Und sofort hatten die Bachmann-Juroren genügend Anlaß, darüber zu streiten, ob Janssen selbst denn nun erfunden oder wahr sei. Man möchte mehr erfahren über diesen Zwischenmenschen. Laher selbst ist nicht schwul, aber gerade in dem Augenblick, in dem er seine Faszination an einer depressiven, nie zufriedengestellten Persönlichkeit bemerkt und berichtet, kann er auch sehr authentisch und unvoreingenom men, teilweise mit witziger Lakonie über Janssens (wahrscheinliche) Homosexualität spekulieren. „Von Frauen wird keine Rede mehr sein bis zum Tod, Männerfreundschaften, die gibt es.“ Mit zunehmenden Depressionszuständen werden allerdings auch diese immer seltener; nach fünfzehn Jahren gehen Janssen und sein zweiter langjähriger Gefährte und Maler Carl Koch getrennter Wege. Anfangs noch ist da ein Freundeskreis, der ihn bewundert: „Schön sei er, schwärmen die Freunde, eine schöne Gestalt habe er, (...) einen schönen Ausdruck des Gesichtes, besonders der Augen (...) Jeden Abend zeichnen sie Akt, sitzen sich gegenseitig Modell. Halten fest zusammen. Natürlich, ob einer schwul ist oder mehrere, darüber reden sie nicht in ihren Briefen, den Lebenserinnerungen fünfzig Jahre später.“

Aber in Janssens Fresken und Gemälden sind „fast alle Helden männlich“ und: „Überdeutlich sichtbar umkreisen Radierspuren das bescheidene männlich Glied eines Modells und seine künstlerische Bewältigung.“ Verstecktes Ausleben erotischer Phantasien, verkleidet in Schraffuren. Da muß etwas „bewältigt“ werden. Man liest es nicht ohne Schmunzeln, aber auch nicht, ohne die sich selbst zermürbende Gestalt dahinter zu erkennen und den Autor, der sich hineingräbt in ein Phantom, das er an einer Stelle gleichsetzt mit Büchners umherirrendem „Lenz“; in ein Phantom, das ihn genausowenig losläßt wie den Leser!


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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