Eine Rezension von Sibille Tröml


Dunkel, dumpf und dumm - Die DDR als westdeutscher Alptraum

Sebastian Knauer: Erich lebt
Ein Vereinigungs-Krimi.

Fannei und Walz Verlag, Berlin 1999, 127 S.

 

Um es gleich vornweg zu sagen: Dieses Buch ist schlecht. Es ist schlecht, weil es platt ist und weil diese Plattheit auch nicht - selbst wenn es der Verfasser beabsichtigt hätte- als eine Persiflage des Platten, Simplen gelesen werden kann. Erich lebt möchte ein westdeutsches Gruselszenario vom Sieg der DDR über die Bundesrepublik sein und ist doch nichts anderes als ein wirklich schlechter, weil einfallsloser Versuch, Orwells 1984 zum xy-sten Male (dünn) aufzugießen. „Ein Nachwendeszenario, das Wessis das Blut in den Adern gefrieren läßt“ - mit diesen Worten aus dem „Tagesspiegel“ wirbt der Verlag, macht neugierig und läßt den Gefühlspegel ausschlagen. Bei den einen, sprich den Wessis, hin zu einem unbändigen furchtsam-fürchterlichen Kribbeln im Bauch (neuhochdeutsch: thrill), bei den anderen, also den Ossis, hin zu einem vielleicht schadenfrohen Gejauchze, denn bei Knauer soll es ja d e n Wessis (endlich) auch mal ans Eingemachte gehen.

Doch schon, wenn sie das Büchlein in Händen halten und den Vordereinband sehen - grau und schwarz mit Schatten von Vopos (also: Volkspolizisten) vor der Berliner Mauer -, erahnen die meisten Ossis bereits dunkel, welch Geistes Kind die 127 Seiten sein werden. Die Tatsache, daß es sich zu alledem bei Erich lebt um einen „Vereinigungs-Krimi“ handeln soll (übrigens ein Untertitel, den der Verlag wohl nicht von ungefähr in seinem Prospekt unterschlägt), verstärkt dieses Gefühl. Ein (wenn auch, wie sich zeigt) kurzes Aufblitzen von einer gewissen Originalität und damit ein Hoffnungsschimmer, daß doch noch alles „gut“ werde, liefert die aus Dramen bekannte Auflistung der Personen vor Beginn der Handlung aufgrund von kommentierenden Erklärungen wie „Marianne - stylt Kugelfische“.

Dann aber kommt man - zumindest als im Lande gebliebener Ossi - aus einem Staunen, das zunehmend Ekel wird, nicht mehr heraus. Zweitaktmotoren, Goldbroiler, Sättigungsbeilage, Plastedeckchen mit Spitzenimitation, Jungpioniere, Stasioffiziere, Verhöre auf unbequemen Holzstühlen, in Räumen mit Neonleuchten (in der DDR übrigens eher Neonröhren genannt), mit geblümten Gardinen etc., etc. Es ist das allseits bekannte Vokabular, sind die allseits bekannten (dunklen) Bilder, die freilich (auch) die DDR waren. Allein es mangelt dem schreibenden „Spiegel“-Redakteur Sebastian Knauer hierbei an jedweder Originalität, denn sie werden plump und platt zu Sätzen verknüpft.

Wenig originell sind leider auch die erzählten Geschichten: die vom westdeutschen (und damit ehemaligen) Staatssekretär Ferdinand Linke, der im kommunistischen Gesamtdeutschland natürlich arbeitslos ist und mit Frau und Kind fliehen möchte. Die vom (ehemaligen) „Spiegel“-Redakteur Hugo Hesse, der natürlich 5 Jahre in sowjetischer Lagerhaft verbracht hat und der ebenfalls „raus“ will. Die von der Ex-West-Berliner Punkerin Kick, die protestierend nun in Dresden-Neustadt lebt und natürlich verhaftet wird. Die vom Verpackungsmanager Ernst Schlütter, der natürlich verhört und erpreßt wird und der der Mangelwirtschaft helfen soll, für den vom ehemaligen Westen geschlossenen Vertrag mit Christo zur Verhüllung des Reichstages das notwendige Verpackungsmaterial zu gewinnen. Und die von Marianne, der abgewickelten Food-Stylistin, die mit Kugelfischen eine ganze Mannschaft von Stasiobersten vergiftet. (Daß diese Stasileute im besonderen wie die vielen anderen im Buch auftauchenden im allgemeinen dümmlich, dumm und ungebildet sind, ist natürlich auch natürlich.)

Eigentlich liest man - zumindest als Ossi - das Ganze bereits nach wenigen Seiten nur noch in der Hoffnung, daß ja irgendwo mal kommen muß, was jener „Tagesspiegel“-Rezensent gefunden hat, denn bekanntlich soll ja, wer sucht, auch finden. Doch entweder gibt es zwei verschiedene Ausgaben dieses Buches, oder Ossis und Wessis sind - zumindest einige von ihnen - so grundverschieden, daß sie zwar das in Worten gleiche sagen, sie aber in Bildern und Inhalten etwas Grundverschiedenes meinen. Das aber wäre bedauerlich. Bedauerlich, weil es sich durch Bücher wie diese, die wirklich gut sein müßten, um in der Sparte „Satire“ zu laufen, verfestigt. Wo aber ist - dies als letztes inhaltliches Beispiel - Satire, wenn der greise Staatschef Erich so ungeschickt (d. h. dumm) ist, daß er bei einem Hubschrauberflug mit einem japanischen Gast die Außentüre entriegelt und in Windeseile daniederprallt auf (west-)deutschen Boden? - Eine solche Idee ist - zumal alles andere als sprachlich brillant gestaltet - allenfalls ein Griff in die pubertäre Humorkiste, nicht aber in die sich schwerer öffnende Satirekassette. (Man möge die Härte verzeihen.) Dies gilt letztendlich auch für den Schluß, denn alle „betroffenen“ Westdeutschen haben das alles natürlich nur geträumt, 1999, vom 2. zum 3. Oktober.

Jedem seine Träume, sicher. Aber muß man daraus gleich ein ganzes Buch machen?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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