Eine Rezension von Hans-Rainer John


Nach 60 Jahren zum erstenmal gedruckt

Rudolf Frank: Fair Play oder Es kommt nicht zum Krieg
Roman einer Emigration in Wien.

Aufbau-Verlag, Berlin 1998, 360 S.

 

Mit diesem Buch, in wenigen Monaten entstanden, beteiligte sich der Autor 1938 an einem Wettbewerb der America Guild for German Cultural Freedom „für das beste freiheitliche Buch in deutscher Sprache“. Die Jury, darunter Lion Feuchtwanger, Bruno Frank und Thomas Mann, erkannte ihm den zweiten Preis zu. Trotzdem mag es in den Wirren der Zeit wohl an einem interessierten Verleger gemangelt haben. Dann geriet es in Vergessenheit. Im Nachlaß des Autors wurde das Manuskript wieder aufgefunden; dem Aufbau-Verlag und dem Bearbeiter Wolfgang Trampe ist nun für die Herausgabe zu danken.

Wer war dieser Autor? Rudolf Frank (1886-1962) hatte ein Studium der Jurisprudenz 1908 mit einer Dissertation abgeschlossen, als er sein Herz für die Bühne entdeckte. Er wurde Volontär bei Max Reinhardt, übernahm kleinste Rollen an kleinen Bühnen und Sommertheatern, hat schließlich als Regisseur Erfolg, unter anderem in Darmstadt, Düsseldorf und Frankfurt/M. Als Oberregisseur der Münchner Kammerspiele entdeckte er Elisabeth Bergner, Carola Neher und Karl Valentin, er begegnet Feuchtwanger und Brecht, sorgt für die Uraufführungen von „Trommeln in der Nacht“ und „Leben Eduards des Zweiten von England“. Aber Frank war auch ein Multitalent. Er war zugleich Theaterkritiker und Feuilletonist, Herausgeber (Heinrich Heine, E. T. A. Hoffmann), Autor von Romanen (Der Schädel des Negerhäuptlings Makaua), Theaterstücken, Hörspielen, er schreibt Novellen und Liedertexte, übersetzt amerikanische Romane und Drehbücher. 1933 wird er im Zusammenhang mit der Verfolgung linker Intellektueller verhaftet, sein „Häuptling Makaua“ landet bei der Bücherverbrennung am 10. Mai mit auf dem Scheiterhaufen. Nach 26 Tagen wird er durch Vermittlung aus der Haft entlassen, mit der Theaterarbeit ist es aber vorbei. Er hält sich über Wasser, indem er unter Pseudonym Unterhaltungsromane für Zeitungen und Zeitschriften schreibt. Als die Hoffnung, die Nazis mögen rasch abwirtschaften, scheitert, emigriert er im Dezember 1935 nach Wien, nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich am 12. 3. 1938 nach Zürich und Basel. Diese 16 Wiener Monate nun sind Gegenstand des stark autobiographischen Romans „Fair Play“.

Es wäre ein Fehler, wollte man die Bedeutung des Buches im Künstlerischen sehen. Es handelt sich natürlich nicht um ein literarisch-poetisches Juwel. Hier war kein Dichter am Werk, sondern ein kämpferischer Publizist, der soviel Information wie möglich in seine Sätze packt, der aufklären und überzeugen will, mitunter aus dem Geist der Zeit und der Situation heraus auch ganz agitatorisch wird (Friedrich Wolf, Ernst Busch und Erich Weinert lassen grüßen). Bis auf die beiden Hauptpersonen erscheinen alle Figuren typisiert, die Guten sind eben die Helden, und die Bösen sind meist negativ überzogen, Psychologie, Differenzierungen und Hell-dunkel-Übergänge sind da kaum im Spiel. Nein, womit das Buch seine Leser wirklich packt, das ist der Stoff.

Der Regisseur Karl Holler und die Schauspielerin Lili von Crailing treffen in Berlin aufeinander. Beide sind seit der faschistischen Machtübernahme beruflich aus der Bahn geworfen, als Linke finden sie kein Engagement mehr, politischer Betätigung wegen ist ihnen Polizei und Gestapo auf der Spur, mit dem Gefängnis haben beide schon Bekanntschaft gemacht. Sie beschließen, das Land heimlich zu verlassen und nach Wien zu emigrieren. Dort gelingt es ihnen, auf einer von Gewerkschaften und linken Vereinen gestützten Kleinst-bühne Gesinnungstheater zu machen und Anschluß an die illegale Organisation der Ungreifbaren - kleine Leute, Arbeiter, Handwerker, Studenten, Musiker, Schauspieler, denen die Klassenwidersprüche das Leben schwer machen - zu gewinnen. Sie sammeln Spenden für das republikanische Spanien, organisieren Lesungen und Rezitationsabende, hören Sender, die im Reich verboten sind, und organisieren Schlupfwinkel in der Kanalisation zum spurenlosen Abtauchen, wenn die Situation es erfordert.

Der Mord an Dollfuß ist längst vollzogen, der Kanzler heißt jetzt Kurt von Schuschnigg, und der hält die eigene Arbeiterbewegung am Boden und macht - gedrängt von den Westmächten - Hitler eine Konzession nach der anderen. „Nur nicht provozieren“, ist seine Devise. Am Ende ist der deutsche Ein- und Überfall aber trotzdem nicht vermeidbar. Schuschnigg will zwar die Selbständigkeit Österreichs verteidigen, setzt eine Volksabstimmung gegen den Anschluß an, scheut aber vor einer Volksbewaffnung zurück. Hitler reißt die Initiative an sich, kommt ihm zuvor, rückt mit seinen Truppen ein. Holler erhält von der Organisation der Ungreifbaren die Weisung, die Anfangswirren zu nutzen, um das Land in Richtung Schweiz zu verlassen, Lili aber wird für die politische Arbeit im Wiener Untergrund für unentbehrlich erachtet. Die Liebenden müssen voneinander Abschied nehmen.

Wie hier bei Karl Holler und Lili von Crailing gemeinsame Überzeugungen, gemeinsame Arbeit und gemeinsamer Kampf zu einer funktionierenden und bewegenden Liebesbeziehung führen, das hat der Autor detailliert, überzeugend und nachvollziehbar beschrieben - auch wenn man gern erfahren hätte (was der Autor vorenthält), was und wo Holler inszeniert hat, als sein Leben noch nicht aus den Fugen war, das heißt auf welchem Rang er tätig war und wie er mit seiner Familie gelebt hat (die er in Berlin nämlich einfach zurückläßt). Auch der emanzipatorische Weg der Crailing, die aus einer stockkonservativen, streng monarchistisch denkenden Offiziersfamilie stammt, zum Schauspielerberuf und zu antifaschistischen Positionen, die sie an das Proletariat heranführen, wäre schon ein paar Zeilen wert gewesen. Hier wird nun eben die Phantasie des Lesers herausgefordert. Gravierender ist schon, daß das Figurenensemble, das die Helden des Buches in Wien umgibt, bis auf Ausnahmen blaß bleibt. Die meisten Leute werden auf Namen und Funktion reduziert. Schön, die Zimmerwirtin Marianne Brings prägt sich ein, eine rührend hilfs- und opferbereite Frau, der es selbst nicht gut geht, oder der Intrigant und Stänkerer Ludwig Ladewig. Aber die Schauspieler Bachmann, Arlt, Eydal, Schulz-Annaberg, Lessing, der Student Raesch, Relly, Mimi, Sprinzel, Sandmenger, selbst Rolf Satory, eine Art Oberhaupt der Ungreifbaren - es gelingt nicht, ein plastisches Bild zu entwerfen, das sich einprägt. Und wo der Autor länger verweilt, bei der schrecklichen Familie Crailing zum Beispiel oder der reichen Erbtante Theresa Holler (“die Frau mit dem breiten Gesicht, den blasenartig geschwellten Backentaschen, dem Röhrenhals und der Gummihaut“), da führt ihm nur blanke Wut die Hand.

Die Lebensverhältnisse im Österreich Schuschniggs aber sind aus der Sicht des Emigranten sehr authentisch erfaßt. Hier hat der Autor seine Erlebnisse und Erfahrungen einfließen lassen, und er hat sie festgehalten, bevor die Erinnerung verblassen konnte. Er beschreibt vorzüglich jenes schwebende Ungleichgewicht, den schmalen Grat zwischen Frieden und Krieg, auf den sich viele Hoffnungen einer in den Abgrund taumelnden Welt gründeten. Dieses Bild ist von höchstem Wert, und je mehr es um das Schicksal des Landes geht (das ja auch das Schicksal der Emigranten besiegelt), um so packender wird das Buch. Das Kapitel, das die Begegnung Schuschniggs mit Hitler auf dem Oberlandsberg nachzeichnet, gehört überhaupt zum Besten. Schön, wie der Autor hier dem österreichischen Kanzler Gerechtigkeit zuteil werden läßt. Hier gelingt plötzlich die sensible Differenzierung, an der es anderenorts oft mangelt. Zum Beispiel wenn die Stimmen für den Anschluß Österreichs an Deutschland nur Nichtösterreichern zugerechnet werden, „Bütteln aus Bayern oder Franken mit Kannibalengesichtern, denen man fünfzehn Jahre SA-Verrohung ansehen kann“, oder eben Strauchdieben mit Stundenlohn und bezahlten Krakeelern. Ist das nicht doch zu einseitig gesehen? Auch die Erklärung für den allgemeinen Jubel nach Einzug der deutschen Truppen, die Begeisterung der Wiener sei eine Ausgeburt des Schreckens gewesen, überzeugt nicht vollends, führt großer Schrecken doch eher zum Verstummen und zur Erstarrung. Zweifellos war hier auch Wunschdenken im Spiel, oder es fehlte wirkliche Übersicht oder auch nur der historische Abstand zu abschließender Bewertung.

Trotzdem: Der heutige Leser wird den Roman als Zeitdokument lesen und schätzen. Die sechzig Jahre mitzudenken, die Entstehung und Veröffentlichung trennen, hat auch seinen Reiz. Das Wissen ist inzwischen wahrlich reicher geworden, auch bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen einer sozialistischen Ordnung, die 1938 noch heißbegehrtes Fernziel war, das authentische Zeitbild ist uns trotzdem wichtig und unentbehrlich.

PS. Der Titel des Buches ist sicher der günstigste nicht, weil ein Bezug zur Geschichte der Hauptfiguren nur schwer zu entschlüsseln ist. Er spielt auf das Wohlverhalten der Westmächte gegenüber dem faschistischen Deutschland an, das dazu führte, daß in Österreich die letzten Freiheiten zugrunde gingen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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