Eine Rezension von Henry Jonas


Ein Lebensweg an der Seite eines Genies

Renate Feyl: Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit
Roman.

Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 320 S.

 

Eine Romanbiographie - na schön. Aber warum Caroline von Wolzogen (1763-1847)? Es gibt doch sensationellere Frauenschicksale, wie die von Johanna von Ingelheim zum Beispiel, der ersten und einzigen Päpstin, die der Vatikan so gern unterschlägt, oder von Phoolan Devi, der Königin der indischen Banditen, oder von Margie Standiford, der Speed Queen von Oklahoma. Und selbst wenn man im Reiche von Herzog Carl August bleiben würde - wäre dann nicht Christiane Vulpius noch interessanter gewesen oder Charlotte von Stein? Und schließlich der verquaste Titel! - Das waren so meine ersten Gedanken, und zu dem Buche griff ich dann nur der Autorin Renate Feyl und des geschmackvollen Covers von Silke Niehaus wegen.

Ich habe es freilich nicht bereut, sondern den Roman in einem Zuge gelesen. Es war ein besonderer Genuß, schon der Sprache wegen, die weder gestelzt noch salopp ist, weder altertümelnd noch anbiederisch modern, die sich gewählter Ausdrücke und schöner Sprachbilder bedient und doch so frei und leicht dahinfließt. Das Buch schlägt aber auch in den Bann, weil es mit wenigen Worten die Kleinstadtatmosphäre im herzoglichen Weimar und Jena rund um die Genies Goethe und Schiller, Wieland und Herder überzeugend zu verlebendigen versteht. Die großen Dichter und Denker werden zwar von ihren Sockeln in die Niederungen des Alltags geholt, Eitelkeit und Empfindlichkeit, Selbstsucht und Nachlässigkeit, Krankheit und Not nicht ausgespart, ihre Größe und Bedeutung aber wird ihnen dennoch belassen. Und schließlich muß man die Entscheidung für Caroline von Wolzogens doch preisen, weil sie nicht nur eine warmherzige und hilfsbereite, intelligente und literarisch begabte Frau war, die im Bemühen, ihre Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu erstreiten und zu bewahren, ihrer Zeit weit voraus war, sondern weil sie vermöge ihrer Stellung und Haltung auch zur Mittelpunktfigur taugt, von der aus das Leben und Treiben im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach anschaulich betrachtet und beurteilt werden kann. Sie hatte schließlich Zugang zum Herzog, ging bei Hofe ein und aus, war mit den geistigen Größen Weimars freundschaftlich verbunden, eine Vertraute der Frau von Stein und als Literatin in ihrer Zeit geschätzt und bewundert.

Hinzu kommt, daß Renate Feyl einen wunderbaren Zugang zu der Figur, die in der Ich-Form erzählt, gefunden hat. Die 72jährige alte Dame sitzt am Anfang da und staunt über das gewaltige Echo ihrer soeben erschienenen Schiller-Biographie. In die Freude über den gelungenen Beitrag zur Sicherung von Schillers Nachruhm mischt sich aber auch Ärger, weil hinter dem enthusiastisch aufgenommenen Schiller-Bild entweder die Autorin und ihre poetische Leistung zu verschwinden drohen oder sie nur als Schwägerin Schillers apostrophiert wird, die ihren Erfolg ihm zu danken hat. Einen Teil der Schuld muß sie freilich selbst auf sich nehmen, hatte sie sich im Buche doch ganz bewußt so zurückgenommen, als hätte sie nie eine eigene Rolle in Schillers Leben gespielt. Jetzt, da niemand mehr lebt, auf den sie Rücksicht nehmen muß, ist es ihr ein Bedürfnis, das falsche Bild zu korrigieren. Und damit fängt ihre Erzählung an.

Sie setzt 1787 in Rudolstadt ein. Hier lebt Caroline mit ihrer jüngeren Schwester Charlotte und ihrer Mutter, der Oberhofmeisterin von Lengefeld. Da bringt eines Tages Cousin Wilhelm von Wolzogen den jungen Schiller ins Haus, der auf dem Weg von Bauerbach, wo er sich bei den Wolzogens versteckt hatte, nach Weimar ist. Sofort schließt sich ein Band innigen Verständnisses um die jungen Leute - Friedrich, Charlotte und Caroline. Wunderbar einfach und plastisch sind sowohl die unterschiedlichen Charaktere der Schwestern, die Zugang bei Hofe haben, als auch die Klassenschranken geschildert, die sie von Schiller trennen. Er ist nämlich nichts als ein begabter Dichter, der schon vier Dramen vorgelegt hat, ein Mann aus niederen Verhältnissen, ohne Stand. Caroline ist bereits mit dem Vizekanzler des Rudolstädter Hofes, von Beulwitz, verheiratet, also hält Schiller um Charlottens Hand an, will aber zeitlebens neben der aufs Praktische gerichteten, anpassungsfähigen Lotte auch die intellektuellere, geistig selbständigere Caroline um sich haben.

Wie sich Caroline von dem großzügigen, tüchtigen, aber kalten und gefühlsarmen von Beulwitz löst, die Sicherheit eines Lebens in höfischem Wohlstand aufgibt, den Cousin Wilhelm von Wolzogen heiratet, sich auf ein bescheidenes, zurückgezogenes, entbehrungsreiches Leben einläßt, bis Wilhelm schließlich dann doch unerwartet der Durchbruch gelingt und er am Weimarer Hof zu Ehren, Ansehen und reichen Gütern kommt, wie sie in ständigem geistigen Austausch mit Schiller bleibt, ihn stützt und ihm hilft und andererseits von ihm ermutigt wird, ihren großen Roman Agnes von Lilien zu vollenden (den er in den „Horen“ sofort zum Vorabdruck bringt) und die Reihe der Erzählungen zu beginnen, das ist weiterer Gegenstand des Romans. Dabei wird recht deutlich, daß es die beiden Schwestern und ihre Mutter waren, die durch ihre Fürsorge und Zuwendung dem stets kränkelnden Schiller ermöglichten, in den wenigen ihm vergönnten Lebensjahren sein Riesenwerk aus sich herauszupressen. Kurz nach Schillers Tod stirbt auch Carolines Mann, und ihren Sohn verliert sie an seinem dreißigsten Geburtstag. So sehen sich die Schwestern am Ende wieder im Bemühen vereint, für Schillers Hinterlassenschaft und seine vier Kinder zu sorgen. Nachdem Goethe seinen Briefwechsel mit Schiller herausgegeben hat, war es dann für Caroline ein Bedürfnis, die erste Schiller-Biographie zu verfassen, in der sich eine Dichterin dem Dichter nähert.

Das Leben Caroline von Wolzogens ist in seinem Auf und Ab, den Glücksmomenten und Schicksalsschlägen selbst aufregend genug, aber es dürfte auch schwerfallen, in der Belletristik auf differenziertere und plastischere Porträtskizzen Schillers und Goethes zu stoßen, und das halte ich für eine große Leistung. Überdies ist es ein Buch über die Erfahrung, was es heißt, mit einem Genie in der Familie zu leben und an seiner Seite den eigenen Weg zur Schriftstellerei zu finden.

Wenn bei diesem Buche, das bei allen heiklen Fragen stets mit Maß, Takt und Geschmack verfährt, überhaupt ein Wunsch offenbleibt, so der nach einem Nachwort, das über Dichtung und Wahrheit Aufschluß gibt. Was von all den geschilderten Vorgängen ist durch Briefe, Schriften und authentische Zeugnisse belegt, und wo hat die Autorin von Recht und Pflicht der Poesie, die Lücken zu füllen, Gebrauch gemacht? Und wie ist die poetische Hinterlassenschaft Carolines zu bewerten - muß bedauert werden, daß Agnes von Lilien und Cordelia im buchhändlerischem Angebot seit langem fehlen, oder handelt es sich um Werke, über die die Zeit mit Recht hinweggeschritten ist?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 10/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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