Eine Rezension von Jan Eik


Die jüdischen Gangster von Brooklyn

Rich Cohen: Murder Inc. oder Nicht ganz koschere Geschäfte in Brooklyn
Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 368 S.

 

Mitunter gerät einem eine überraschende Lektüre vor die Augen. Rich Cohen, Jahrgang 1968, hat einen lesenswerten und stellenweise romanhaften Report über den Aufstieg und den Fall der jüdischen Gangsterbosse von Brooklyn geschrieben. Eine der Hauptrollen spielt dabei Abe „Kid Tiwst“ Reles, ein Mafia-Boß, über dessen Aufstieg und Tod Rich Cohen zwar auch nur aus zweiter Hand berichtet, aber sein Vater Herbie Cohen war einer der „tough jewish guys“, aus deren Reihen die Bosse ursprünglich ihre Leutnants rekrutierten. Es war eben nur eine andere Zeit und bereits die nächste Generation, und so wurde aus Herbie Cohen ein braver Besatzungssoldat in Deutschland und später ein erfolgreicher Anwalt.

Der Sohn erzählt in seinem locker geschriebenen und außerordentlich detailreichen Buch die Geschichte des New Yorker Gangstertums von seinen blutigen Anfängen an, konzentriert sich dann jedoch auf den Aufstieg und Fall der „Jungs“ von Arnold Rothstein, dem ersten „modernen“ jüdischen Gangsterboß. Der Vorzug von Cohens Buch besteht vor allem darin, daß Cohen - obwohl (oder gerade weil?) familiär verstrickt in das Milieu - beinahe nebenher eine sehr genaue sozialkritische Studie ebendieses Milieus liefert, aus dem die großen jüdischen Gangster stammten. Fern jeder Heldenverehrung für die Idole seines Vaters (und die Gäste der Großeltern, in deren „Diner“ die Gangster eines ihrer Hauptquartiere betrieben), bringt Cohen legendäre Figuren wie Lucky Luciano, Frank Costelo, Meyer Lansky, Louis Lepke und Dutch Schultz (ja, die Brooklyner Gangstergesellschaft war multikulturell, italienisch und jüdisch, irische Polizisten kassierten die Schmiergelder) auf ihr normales un-menschliches Format, ohne sie zu dämonisieren. Mit leichter Hand reiht der erfolgreiche Journalist Cohen - er schreibt für „Rolling Stone“, „New Yorker“ und die „New York Times“ - schier unglaubliche Fakten und zahllose Anekdoten aneinander. Tiefer ist wohl kaum jemand in die Sozialgeschichte und in die Psyche jener zweiten Generation von jüdischen Einwanderern eingedrungen.

Deren „nicht ganz koschere Geschäfte“ im deutschen Titel - im Original heißt das Buch „Tough Jews, Fathers, Sons and Gangsters’ Dreams“ - sind ein glatter Euphemismus für die organisierte Kriminalität und die zahllosen Rache- und Auftragsmorde, für beinahe jede andere Art von Gewalt und Kapitalverbrechen.

Aus der „linken“ amerikanischen Literatur, wie sie vor allem in den fünfziger Jahren in der DDR verlegt wurde, gelegentlich auch aus Filmen, kennt man die verbrecherische Rolle amerikanischer Gewerkschaftsbosse. Cohen führt des Eindringen der Gangster in die Gewerkschaften viel überzeugender, weil an den tatsächlichen Vorgängen und Personen orientiert, vor. Die blutigen Bandenkämpfe der späten zwanziger und der dreißiger Jahre offenbaren dabei noch eine andere, erschreckende Parallele: das schleichende Mißtrauen, Verrat und die Judasküsse für den Verratenen, heimtückischer Mord an engsten Freunden und Mitstreitern - drängen sich nicht allein dadurch Vergleiche mit den zeitgleichen Vorgängen in der Sowjetunion unter Stalin auf?

Cohen ist ein begabter Journalist, kein Moralist. Er schildert die Dinge quasi aus der Sicht des Nachbarjungen und mit jener beinahe unbekümmerten Zwangsläufigkeit, aus der es für seine Protagonisten - waren sie einmal vom vorgezeichneten Weg des jüdischen „underdogs“ abgewichen, aber einige kamen auch aus wohlhabenden Familien - nur einen Ausstieg gab: den Tod durch die Kugel des Stärkeren oder Schnelleren, später, unter dem unerbittlichen Staatsanwalt Dewey, durch den elektrischen Stuhl, falls man nicht wie der geschwätzige Abe Reles vorher aus dem Fenster fiel. Am Ende sind sie alle tot. Nur Meyer Lansky, der angebliche Finanzminister der amerikanischen Mafia, ist 1983 86jährig in Miami eines natürlichen Todes gestorben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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