Eine Annotation von Hans Aschenbrenner


Gottwaldt, Alfred: Eisenbahn-Zentrum Berlin 1920-1939

Bahnhöfe, Lokomotiven und Züge.

Jaron Verlag, Berlin 1997, 144 S.

 

Für die stürmische Entwicklung Berlins im vorigen Jahrhundert zu einem der führenden Industriestandorte waren die sich rasch entwickelnden Eisenbahnverbindungen eine wichtige Voraussetzung. Strecke um Strecke konnte in Betrieb genommen werden, bis das Gerippe des Berliner Eisenbahnnetzes fertiggestellt war. Um den Reisenden weite Wege zu ersparen, wurden die vom Süden und Norden zugeführten Strecken möglichst nahe an den Stadtkern herangebracht. So entstanden Kopfbahnhöfe, die dann durch die Ringbahnstrecke miteinander verbunden wurden. In Ost-West-Richtung wurde die Stadtbahn gebaut, die es ermöglichte, Schnellzüge aus dem Westen in den Osten ohne Unterbrechung durch Berlin zu leiten. Für den Güterverkehr entstanden besondere Verschiebebahnhöfe, durch den sogenannten Güterring „zusammengehalten“, der es auch erlaubte, Züge um die Stadt herumzuleiten. An der Rolle Berlins als Mittelpunkt der deutschen Eisenbahnen bestand dann auch kein Zweifel mehr.

Alfred Gottwaldt, als Kenner der Materie längst bestens ausgewiesen, läßt dieses Berlin als Eisenbahnknotenpunkt der 20er und 30er Jahre wiederauferstehen. In einer Folge von 174 Fotos zeigt er, wie eng der „Charakter“ der Stadt mit ihren Bahnhöfen und Gleisanlagen verbunden war und wie stark Lokomotiven und Züge das Bild der Zeit bestimmten. Er will besonders diese eigene Atmosphäre weltstädtischen Berliner Verkehrs in Erinnerung rufen, die, vom geschäftigen Leben in der Großstadt ganz allgemein hervorgerufen, ihren besonderen Reiz durch die andernorts kaum üblichen Fahrzeuge erhielt: Untergrundbahnwagen, Doppeldeckbusse und elektrische S-Bahn-Züge. „Wer hier lebte und arbeitete, hat Berlin so auf vielfältige Weise erfahren. Für den Besucher aus anderen Gegenden kündigten sich Aufregung und Rätsel der Metropole schon am Anhalter, Potsdamer, Görlitzer, Stettiner oder Lehrter Bahnhof, am Schlesischen oder am Zoo an wie sonst nur noch in London oder in Paris, wo die Bahnen der Underground und der Metro auf ähnliche Weise zur Geschichte der Hauptstadt gehörten.“

Die für das Buch ausgewählten Fotos sind voller Leben und Aussagekraft und damit wohl die besten Erinnerungen an jene Zeit, die man sich vorstellen kann. Kaum fällt es auf, daß der Bildband in Abschnitte untergliedert ist, so sehr gehen immer wieder Bilder und Texte (jedem Abschnitt ist eine Textseite vorangestellt) ineinander über. Eingeleitet wird das Buch mit Reminiszenzen über Bilder vom „Berliner Verkehr“, die Deutsche Reichsbahn in Berlin, die „Elektrisierung“ der Berliner S-Bahn, über Berlin und seine Lokomotiven und Lokomotivfabriken. Danach aber wird der Betrachter und Leser sofort zu den prominenten Stätten des Eisenbahnwesens der Vorkriegsjahre geführt. Das gilt für das Stadtbahn-Teilstück von Charlottenburg bis Friedrichstraße, die Bahnhöfe Friedrichstraße und Alexanderplatz, für Szenen am Schlesischen Bahnhof und rund um den Anhalter Bahnhof ebenso wie für den Potsdamer Fernbahnhof in Berlin, den Wannseebahnhof, den Potsdamer Ring- und Vorortbahnhof, die Strecke von Spandau nach dem Lehrter Bahnhof und den Stettiner Bahnhof.

Der letzte Abschnitt „Abschied am Görlitzer Bahnhof“ - der „Görlitzer“ nahm im Leben der Berliner eine ähnlich favorisierte Stellung wie der „Stettiner“ ein, denn beide waren „Ferienbahnhöfe“ - ist dann symbolhafter Ausklang des repräsentativen Bildbandes. Die in ihm enthaltene Bildersammlung ist in langen Jahren gewachsen und durch zahlreiche Aufnahmen eisenbahnbegeisterter Amateur- und Berufsfotografen vervollständigt worden. Der Bildband soll, wie Alfred Gottwaldt betont, nicht nur die Erinnerung an die alten Bahnhöfe, die im verheerenden Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche sanken, lebendig erhalten, sondern auch das Werk dieser Fotografen ein wenig vor dem Vergessen bewahren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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