Eine Annotation von Horst Wagner


Loest, Erich: Gute Genossen
Erzählung, naturtrüb.

Linden-Verlag, Leipzig 1999, 202 S.

 

Für manchen dürfte der neue Loest reine DDR-Nostalgie sein. Andere werden darin eine Verspottung der untergegangenen Republik sehen. Und mir scheint, beide haben irgendwie recht. Es ist die geschickte Mischung von detailgenauer, naturalistischer, ein bißchen proletkulthafter Schilderung verflossener Zustände und Leben einerseits und ihrer satirischen Verzerrung andererseits, die das Besondere dieses Buches ausmacht. Ist man schon auf den ersten Seiten geneigt zu sagen, hier weiß einer genau, wie es wirklich war, wird einem spätestens beim bierseligen Gespräch zweier recht dümmlich daherkommender Grenzer-Offiziere über ihre vorgesehene Doktorarbeit und ein Planspiel zur Eroberung der Main-Linie durch Sowjetarmee und DDR-Grenztruppen klar: Hier triumphiert der Satiriker, wird Realität bis ins Groteske verfremdet, schlägt kritische Rückschau in Diffamierung um. Ist es das, warum Loest seiner Erzählung die Unterzeile „naturtrüb“ gab?

War Loests Nikolaikirche der große Gesellschaftsroman über die Wendezeit mit dem dramatisch gestalteten Konflikt zwischen Staatsmacht und Kirche, Sicherheitskräften und Bürgerbewegten, so hat der Autor diesmal eine Art Miniatur, ein Minigemälde aus der DDR der 70er Jahre, vorgelegt, das ganz auf drei „gute Genossen“ konzentriert ist, die zudem noch Vater, Mutter und Sohn sind. Der Vater, Jürgen Hippel, ist Hauptmann der Grenztruppen im Thüringischen und unter anderem mit der Einführung neuer Sicherungssysteme beschäftigt (was Loest Gelegenheit gibt, möglichst viel anklagendes Material aus den Politbüro- und Mauerschützenprozessen unterzubringen). Seine Frau Marion, ihm gegenüber als eine Art Lichtgestalt geschildert, ist Verkäuferin im kleinen Grenzdorf und will aus dessen Enge heraus. Sie bewirbt sich als „Fachkraft für Lagerwirtschaft“ in Zella-Mehlis, soll sich mit Exportaufträgen nach Bagdad befassen und lernt gelegentlich andere Männer kennen, die ihr schöne Augen oder auch mehr machen. Sohn Sven ist Bobsportler, trainiert im Leistungszentrum Oberhof, träumt von der Teilnahme an Wettkämpfen in Cortina d’Ampezzo, wird den Anforderungen nicht gerecht und aus dem „A-Kader“ ausgesondert, besäuft sich aus Kummer, läuft - Absicht oder nicht - Richtung Grenze, wird festgenommen und verdirbt so seinem Vater die Karriere. Nichts wird aus dessen erhoffter Beförderung zum Major oder sogar Oberst und der Promotion an der Plauener Offiziershochschule zum Doktor der Militärwissenschaft (so was gab es ja wohl auch nur an der Militärakademie in Dresden). Hauptmann Hippel soll immerhin noch „ehrenhaft entlassen“ und Schießausbilder oder Waffenwart bei der GST werden. Worauf Frau Marion ihn am Schluß mit den Worten, „ich mache mir nichts aus anderen Männern“, tröstet.

Das war dann auch schon die ganze Geschichte. Ihre Stärke ist wohl auch nicht die Fabel, sondern die Erzählweise, nicht zuletzt die immer wieder anklingende thüringische (oder ist es nicht eher Leipziger) Sprechweise. Man liest das Buch nicht ohne Vergnügen, manchmal ist es zum Schmunzeln, zuweilen aber auch zum Stirnerunzeln wegen mancher Ungereimtheit. Alles in allem ist man nach der Nikolaikirche vom neuen Loest doch etwas enttäuscht.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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