Eine Annotation von Jan Eik


Emde, Friedrich: Der Terrorist und seine Brüder

Elefanten Press, Berlin 1998, 224 S.

 

Friedrich Emdes Roman, in diesem Jahr unter den fünf für den GLAUSER, den Krimipreis der Autoren, nominierten Neuerscheinungen des Vorjahres zu finden, ist eher ein Szene- als ein Kriminalroman, was seinen Wert, wie man es heute auszudrücken beliebt, in „keinster Weise“ mindert. Emde, studierter Islam- und Geschichtswissenschaftler und von 1990 bis 1998 als Hausbesetzer in Kreuzberg und Berlin-Mitte lebend, hat seinen WG-Genossen aufs Maul, in die Kühlschränke und ins Herz geschaut und daraus eine zwar nicht übermäßig spannende, dafür aber in Details und Ausführung überzeugende und lesenswerte Geschichte gemacht. Emde kann nämlich schreiben: witzig, poetisch und ohne sprachliche Schluderei.

Sein Held Pieck, mit dem passenden Vornamen Wilhelm, schlägt sich - wie der Autor - als Gelegenheitskraftfahrer und Fahrradkurier durchs bunte, eigentlich so triste Leben. Bruder Henry sitzt als Terrorist seit Jahren im Hochsicherheitsknast und ist plötzlich ausgebrochen, die Polizei spielt ein bißchen verrückt - aber eigentlich geht bei Pieck weiter alles seinen gänzlich unsozialistischen Gang. Er säuft, bedröhnt sich mit Drogen und verstrickt sich in gleich zwei glücklich-unglückliche Liebesbeziehungen. Und olle Henry ist immer dabei. Merke: Auch Terroristen, ihre Brüder, Wohn- und einstigen Kampfgefährten sind nur Menschen wie du und ich, wenn wir es auch nicht wahrhaben wollen. Böse ist anscheinend nur der angeblich so gute Onkel Gus, Henrys Anwalt. Haben wir uns das nicht gleich gedacht?


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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