Eine Rezension von Waldtraut Lewin


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Was die alten Griechen so miteinander anstellten

 

Patrick Besson: Der Kuss der Hetäre
Roman. Aus dem Französischen von Renate Nentwig.

Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 1998, 205 S.

 

Toll trieben es die alten Römer. Das wissen wir. Aber nun erfahren wir, dank Bessons Roman, daß es die alten Griechen womöglich noch viel toller getrieben haben. Junge, Junge, da war vielleicht was los! Wer wußte schon so genau, daß man als Mann und Hausvater gesellschaftlich unten durch war, wenn man(n) nicht, neben Ehefrau, Sklavenkonkubinen und Hetären-Geliebter, auch einen männlichen Lover hatte. Auch die Tatsache, daß sich die große Sappho das Leben genommen hat, weil sie die Trennung von einer ihrer Geliebten-Schülerinnen, die verheiratet wurde, nicht verkraftete, war mir bis dato nicht so ganz bekannt.

Einverstanden. Ich bin die letzte, die etwas gegen eine gut gemachte historische Fiktion einzuwenden hat. Und sicher stimmt’s, daß die Moral- und Lebensvorstellungen der griechischen Antike weit von den unseren entfernt waren. Man lernt ja gern was dazu, wenn man sich gleichzeitig gut unterhalten fühlt. Aber leider, am letzteren hapert’s denn doch. Ich hab’ die größte Mühe, diese Typen auch nur an ihren Namen auseinanderzuhalten, und da sie ohnehin alle immer nur das eine wollen, ist es vielleicht auch nicht so wichtig. Der Kampf zwischen langbeiniger, geld- und machtgeiler Hetäre und vollbusiger, kluger und lustbetonter Ehegattin und dem blondbärtigen Reeder ist dann das Herzstück des Romans, aber so spannend auch wieder nicht. Um den Fortbestand der Familie und des Friedens innerhalb derselben zu retten, wird besagte Hetäre vom Bruder des Hausvaters schließlich kurzerhand umgebracht. Das geht so: „Als sie den Mund zum Schrei öffnete, versenkte Hermogenes unverzüglich sein Messer darin.“ Nun ja, über Geschmack läßt sich streiten. Über Stil auch.

Besonders beachtenswert finde ich, daß die Protagonisten dieser Schauermär zwar alle rammeln wie die Kaninchen, aber verbalerotisch sich nur in medizinischen Fachausdrücken ergehen. Sie penetrieren sich gegenseitig oral, vaginal und anal, erbitten eine Fellatio oder einen Cunnilingus, und der Sklave zeigt sich hocherfreut über die Forderung seines Herren, ihn zu koitieren. Die ersten Griechen, die wie Römer reden. Bloß, wenn ich mir meinen Catull angucke, die Römer redeten ganz anders. Da kam man auch mit Worten zur Sache.

Mag sein, daß jemand die wächserne Erotik dieser fremdartigen Herrschaften trotz allem attraktiv findet. Ich gehöre nicht dazu.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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