Eine Rezension von Herbert Mayer


Nur ein Instrument sowjetischer Politik?

Manfred Wilke (Hrsg.): Anatomie der Parteizentrale
Die KPD/SED auf dem Weg zur Macht.

Akademie Verlag, Berlin 1998, 584 S.

 

Die Parteizentrale der SED residierte über drei Jahrzehnte am Werderschen Markt in Berlin. In der hier behandelten Zeit hatte sie jedoch ihren Sitz in der Wallstraße bzw. dann in der Lothringer Straße, der späteren Wilhelm-Pieck-Straße und heutigen Torstraße. Mit diesem Band stellt der unter Historikern nicht unumstrittene „Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin“ Resultate des von der VW-Stiftung geförderten Projekts „Die Parteiführung der SED und ihr zentraler Apparat. Zur Struktur, Funktion und Entwicklung der politischen Machtzentrale in der SBZ/DDR“ vor. Die Grundkonzeption des Bandes und wohl des Projekts liegt darin, daß die deutschen Kommunisten die Macht im Osten Deutschlands nicht aus eigener Kraft erringen und behaupten konnten, sondern dies im Auftrag der sowjetischen Besatzungsmacht taten. Der Parteiapparat war für die KPD bzw. SED das wichtigste Instrument, um ihre Herrschaft durchzusetzen. Ziel der Autoren ist es, Funktion, Entwicklung und Arbeitsweise dieses Apparats in jenem historischen Zeitabschnitt zu untersuchen, als er noch nicht als politische Macht- und Schaltzentrale etabliert war, sondern sich erst zur „Kommandozentrale“ konstituierte. Als konzeptionelle Leitlinie dient die nach wie vor umstrittene Totalitarismustheorie.

Die neun Autoren stützen sich in ihren Darlegungen auf Recherchen im Zentralen Parteiarchiv der SED, das heute zur Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) gehört, auf Materialien des Archivs der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn, des Landesarchivs Brandenburg und Berlin sowie in beschränktem Umfang auf russische Archive in Moskau.

In der Einführung behandelt Manfred Wilke „den Kommunismus in Deutschland und Rahmenbedingungen politischen Handelns nach 1945“. Fragwürdig scheint, die KPD lediglich „als Instrument sowjetischer Deutschlandpolitik“ zu betrachten, das läßt zuviel andere Bereiche unberücksichtigt und führt zu undifferenzierten Wertungen. Massiv wendet er sich gegen in der Literatur anzutreffende Einschätzungen, daß die SED und DDR nach 1945 einen „legitimen Neuanfang nach Hitler“ darstellten. Zu fragen ist auch, ob die Summaries zu den einzelnen Beiträgen, die dem Leser die Orientierung erleichtern sollen, nicht überflüssig sind.

Dem Einführungsartikel folgen im ersten Teil des Bandes Beiträge, die sich vor allem mit den Jahren 1945/46 befassen. Michael Kubina erörtert den Aufbau des zentralen Parteiapparates der KPD 1945/46. Mit ihm habe die Sowjetunion eine entscheidende Weichenstellung ihrer Deutschlandpolitik vorgenommen. Der Bündnispolitik unter dem Aspekt eines „politisch-organisatorischen Problems des zentralen KPD-Apparats“ nimmt sich Friederike Sattler an. Bodenreform und SED-Gründung sollen verdeutlichen, daß die KPD ihr politisches Monopol gegenüber anderen Parteien durchgesetzt habe und den „unbedingten kommunistischen Willen zur hegemonialen Macht“ bewiesen habe. Wilke schreibt des weiteren über den Führungsanspruch von Kurt Schumacher und die SED-Gründung. Er setzt den Beginn der Fusionskampagne der KPD wie heute allgemein üblich für Herbst 1945 an, die von Schumacher geleitete SPD habe verhindert, daß die KPD/SED ihren gesamtdeutschen Anspruch durchsetzen konnte, da sie bereits 1945 in den westlichen Besatzungszonen die politische Hegemonie der Sozialdemokraten gegenüber der KPD durchgesetzt hat. Ob die SED-Gründung wirklich als „erster sichtbarer Schritt zur deutschen Zweistaatlichkeit“ gewertet werden kann, sei dahingestellt. Die sozialdemokratische Selbstbehauptung der SPD im Westen nennt Wilke als eine Hauptursache für die kommunistische Entscheidung, die SPD im Osten durch Fusion als eigenständige Partei auszuschalten.

Peter Erler rückt in den Mittelpunkt seines Beitrags über „Moskau-Kader in der SBZ“, daß die aus dem sowjetischen Exil zurückkehrenden Funktionäre der KPD den entscheidenden Einfluß in KPD/SED erlangten. Er analysiert erstmals die Zusammensetzung dieser Gruppe in dieser Breite und Exaktheit und versucht, ihren Einfluß im Verhältnis zu anderen Gruppierungen der KPD/SED zu bestimmen. Deutlich wird, daß die Rückkehr der „Sowjetemigranten“ keineswegs konfliktlos vor sich ging, insbesondere zu den in der Nazizeit in Deutschland verbliebenen KPD-Kadern ergaben sich immer wieder Reibungspunkte.

Die weiteren Beiträge reichen zeitlich bis in die Jahre 1948/49.

Hans-Peter Müller wertet in Analyse der Protokolle von den Konferenzen der Innenminister in der Zeit von 1946 bis 1948 diese Ministerien als „Modell politisch zuverlässiger Verwaltungsapparate“. Die KPD/SED habe diese als politische Schlüsselressorts betrachtet und vor allem im Zusammenspiel mit der SMAD unter ihre Kontrolle gebracht. Kubina befaßt sich mit dem Aufbau des Westapparates der KPD/SED 1945-1949. Für die Arbeit in den westlichen Besatzungszonen wurde ein konspirativer Westapparat (Abteilung Verkehr, N-Apparat, Grenzapparat) aufgebaut, da legales Wirken zunehmend von den Westalliierten unterbunden wurde. Zusammen mit V. V. Sacharov und D. N. Filippovych behandelt Kubina in einem weiteren Beitrag „Organisation, Aufgaben und Aspekte der Tätigkeit der sowjetischen Sicherheitsapparate in der SBZ 1945-1949“. Die sowjetische Besatzungsmacht übte in ihrer Zone uneingeschränkt die oberste Regierungsgewalt aus, und ihre Sicherheitsorgane sicherten die Herrschaft der SED ab, so die - nicht neue - Quintessenz des Beitrags. Neue Gesichtspunkte und Fakten belegen das Zusammenspiel sowjetischer Stellen (insbesondere des Leiters der sowjetischen Sicherheitsapparate Ivan Serov) und KPD/SED im Vorgehen gegen oppositionelle Gruppen in der eigenen Partei. Völlig aus dem Rahmen des Bandes fällt der - aus welchen Gründen auch immer aufgenommene - Beitrag von Heikki Larmola „Sowjetisierung oder Neutralität? Warum Finnland nicht den Weg der Tschechoslowakei ging“. Der Artikel vergleicht Entwicklungen der Nachkriegsjahre in der Tschechoslowakei und Finnland.

Klaus Schroeder plädiert im abschließenden Beitrag „Die DDR eine (spät)totalitäre Gesellschaft“ dafür, das Totalitarismuskonzept zur Erforschung der SBZ/DDR anzuwenden und in seinen Ansätzen weiterzuentwickeln. Er polemisiert erneut, daß die dominierende politikwissenschaftliche DDR-Forschung der Alt-Bundesrepublik in Hauptpunkten die diktatorische Struktur der DDR-Wirklichkeit nicht erfaßt habe, da seit den sechziger Jahren der totalitarismusorientierte Ansatz tabuisiert bzw. durch einen „kritischimmanenten“ ersetzt worden sei. Die DDR-Forschung habe sich dadurch auf die Darstellung von systemimmanenten Fakten reduziert. Schroeders Grundthese lautet vielmehr, daß die DDR eine gescheiterte totalitäre Gesellschaft war. Der Streit, wie die DDR begrifflich zu charakterisieren sei, geht also weiter.

Den Band beschließen Autoren-, Abkürzungs- und Personenverzeichnis. Leider ist kein Literatur- und Quellenverzeichnis sowie kein Sachregister vorhanden, was die Arbeit mit dem Band erleichtert hätte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite