Eine Rezension von Kathrin Chod


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Schreiben, um zu überleben

 

Jean-François Lyotard: Gezeichnet: Malraux
Biographie.

Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999, 412 S.

 

Das Geheimnis einer Biographie ist, daß sie „keineswegs ein getreuer Lebensbericht, ... vielmehr, weil diesem Leben nahestehend, dessen Legende“ sei. Sagt das Lyotard, der Verfasser des vorliegenden Buches? Oder Malraux, der Porträtierte, der sein Leben in etlichen autobiographischen Schriften verarbeitete? Oder interpretiert hier Lyotard nur Malraux?

André Malraux (1901-1976) - eine der schillerndsten Gestalten Frankreichs, war Abenteurer, Schriftsteller und Politiker. Er nahm an kommunistischen Aufständen in Asien teil, stellte ein Flugzeuggeschwader für die spanische Republik auf und kämpfte in der Résistance. Unter de Gaulle und Pompidou Kulturminister, ist er zugleich Verfasser weltberühmter Bücher wie So lebt der Mensch, Die Hoffnung, Stimmen der Stille und der Antimemoiren. Für Jean-François Lyotard ist die Vita Malraux’ - vom Sympathisanten des Kommunismus zum Anhänger de Gaulles, vom Rebell zum Streiter gegen die 68er, vom Widerstandskämpfer zum konservativen Politiker, vom Kunsträuber in Indochina zum Kulturminister Frankreichs - eine exemplarische Lebensgeschichte dieses Jahrhunderts. Nicht unbedingt eine Entwicklungsgeschichte vom Niederen zum Höheren, vom Bösen zum Guten oder umgekehrt. Sind die genannten Stationen doch eher Merkmale von etwas schwer eindeutig Bestimmbarem. So sieht Lyotard seinen Buchhelden auch als wenig greifbar. Der Titel Gezeichnet: Malraux bezieht sich auf die Unterschrift des Dichters, der mit den Umrissen einer Katze signierte. In den Augen Lyotards Sinnbild für einen katzenähnlichen Charakter: „Und doch sind sie nie richtig da, sie sind eigenwillig, werden von irgend etwas heimgesucht. Aus ihrer spontanen Verirrung machen sie so etwas wie Stil.“

Lyotard stellt Malraux vor als einen Schwärmer und Mythomanen, einen begnadeten Redner, der mit seinen pathetischen Reden nach dem Krieg das Bild einer Grande Nation in der Résistance formte. Einen Intellektuellen, der das Pariser Intellektuellenmilieu meidet. Kein Menschenfeind, aber jemand, der vor allem eine Gefährtin hat, „die Einsamkeit, mit der er sich in Museen, Galerien und Bibliotheken verabredete“. Einen fanatischen Leser, denn aus „Werken lernt man mehr als von Menschen“. Einen Dandy wie auch einen Dominikaner, der die Stille der Studierstube brauchte, „die Bücherwände, welche die toten Geister verscheuchten“.

Malraux - der Dichter, für Lyotard jemand, der Leben und Kunst nicht zu trennen vermochte und den er so in seinen Werken sucht und findet, in seinen literarischen Figuren, etwa als Vincent Berger in Der Kampf mit dem Engel oder als Kassner in Zeit der Verachtung. Er entdeckt auch den Malraux, wie er eigentlich gern gewesen wäre, so als Claude in Der Königsweg.

Malraux - der Dichter, für Lyotard ist er eher ein Rhetor, der wachrütteln, erschüttern wollte, als Redner wie auch als Schriftsteller, und so habe sich Malraux auch nur auf wenige, sich immer wiederholende Tonlagen beschränkt: die militärische Proklamation, die Zeitungsdepesche, Beschwörungen von jenseits des Grabes, die Predigt, die Anekdote.

Und Malraux - der Dichter, das ist für Lyotard vor allem jemand, der schreibt, um Angst und Verzweiflung zu überwinden. Die Angst vor dem Tod, die Verzweiflung angesichts der Wiederkehr des Immergleichen und der Einsicht, nichts gegen die Zeit ausrichten zu können: „Noch zu jung, schon zu alt, tot, wenn wir geboren werden.“ Trotz der Allgegenwart des Todes war ein Totenkult Malraux unmöglich, da der Tod für ihn nichts Erhabenes war, sondern nur ein wimmelnder Haufen ekelerregender Larven, das blicklose Ungeziefer, das einen unweigerlich zu Aas verwandeln wird. Die Larven als ewige Sieger und all „die großen und die kleinen Geschäfte, das Spiel an der Börse, das Spiel mit dem Leben, das alles, so wußte er, waren nur Umwege, um ohne Rest zu enden“. So ist für Malraux das Schreiben die einzige Möglichkeit, um zu überleben, im doppelten Sinne: in seiner Gegenwart, um der Angst zu entkommen, und über den Tod hinaus, um nicht „ohne Rest zu enden“. Lyotard sieht seinen Malraux nun auf der Suche, das Werk zu vollbringen, welches diese Möglichkeit verwirklicht, „... wie zum Teufel schafft man es, dem Glücksbecher dafür die richtige Kombination zu entlocken“, für den „Würfelwurf, der nicht in den üblichen Lauf der Schwankungen geraten würde, der nicht nach dreißig Jahren dem Nichts anheimfallen würde, das Wunder eines Werks, dessen Notierung dem Hammer des Versteigerers entkommen würde“. Und die Antwort? Wie Lyotard an anderer Stelle bemerkt, gibt es keine Antwort. „Bleibt aber die Frage. Die Frage bleibt das Rätsel.“

Drei Jahre nachdem diese Biographie in Frankreich erschien, kommt sie auf den deutschen Markt. Letztes Werk und damit gleichsam Testament des im vergangenen Jahr verstorbenen Jean-François Lyotard. Des französischen Denkers, der den Begriff der Postmoderne in der Philosophie prägte und von dem wohl niemand eine Biographie im herkömmlichen Sinne erwartet hatte. Und das wurde sie auch nicht. Gezeichnet: Malraux ist vielmehr eine Interpretation des Lebens Malraux’ aus der Sicht Lyotards. So schadet es nicht, wenn der Leser mit Leben und Werk des französischen Dichters etwas vertraut ist, bevor er dieses Buch zur Hand nimmt. Lohnend ist die Lektüre aber in jedem Fall, entstand hier doch ein sprachlich wie auch gedanklich faszinierendes Werk.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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