Eine Rezension von Siegfried Lehmann


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Diplomaten in der neuen Bundeshauptstadt

 

Tobias Krätzer: Botschaften und Konsulate in Berlin
Eine stadtgeographische Analyse.

Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 1998, 150 S.

 

Zu den Charakteristika einer Hauptstadt zählt die Ansiedlung von Auslandsvertretungen, vorwiegend Botschaften und Konsulate. Ihre Rechte und Pflichten sind zuletzt durch das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961 völkerrechtlich geregelt. In historischer Sicht haben sich bei ihrer Ansiedlung bevorzugte Standorte („diplomatische Viertel“) ergeben. Dies war auch im alten Berlin so. Die Hauptstadtfrage in den zurückliegenden 50 Jahren schuf indes einen Sonderfall. Während des Zweiten Weltkrieges wurden viele diplomatische Beziehungen abgebrochen und das Diplomatenviertel nahe dem Tiergarten zerstört. 40 Jahre Spaltung Deutschlands trugen das Ihrige bei. Nachdem Bonn Bundeshauptstadt geworden war, verblieben für Westberlin nur 64 ausländische Vertretungen minderen Ranges (Konsulate und Sondermissionen). Ostberlin hingegen erlebte als DDR-Hauptstadt einen steilen Aufschwung; waren es zunächst nur die 13 Ostblockstaaten, so unterhielten Anfang 1990 73 Staaten und die PLO eine Auslandsvertretung. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit brachte eine völlig neue Konstellation. Dem Regierungsumzug vom Rhein an die Spree folgen nun auch die Vertretungen von mehr als 170 Staaten, mit denen die BRD zur Zeit diplomatische Beziehungen unterhält. Nur wenige Staaten können ihre bis 1998 genutzten Ostberliner Residenzen weiter nutzen (wie Rußland, Polen und Tschechien) oder ihren Altbesitz wieder bebauen (wie USA, Großbritannien und Frankreich). Die meisten Staaten sind auf der Suche nach neuen Standorten, wobei die Nähe zum zukünftigen Regierungsviertel bevorzugt wird. Allerdings gibt es nach dem Stand 1997 auch eine beachtliche Gruppe von Staaten mit derzeitiger Botschaft in Bonn ohne ein Umzugsinteresse.

Tobias Krätzer geht in seiner vom Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Universität Erlangen-Nürnberg angenommenen Diplomarbeit stadtgeographischen Fragestellungen nach. Zu diesem Zweck analysiert er die Standortverteilung zu drei verschiedenen Zeitpunkten: 1989 kurz vor dem Mauerfall, 1997 zur Verdeutlichung der heutigen Übergangssituation und 2000 mit Blick auf die neue Bundeshauptstadt. Er kommt zu dem Ergebnis, „daß im zentralen Bereich der Stadt ein Regierungs- und Parlamentsviertel im Spreebogen und ein neues Diplomatenviertel am südlichen Tiergartensaum vorzufinden sein wird“, daß aber andererseits die vom Berliner Senat angestrebte Verteilung der Botschafterresidenzen im gesamten Stadtgebiet nicht in der gewünschten Weise erfolgen wird, denn abgesehen von einigen im früheren DDR-Diplomatenviertel Pankow verbleibenden Residenzen wird es in Zukunft „zu einer Konzentration der Privatsitze der Diplomaten in den südwestlichen Berliner Villengebieten“ kommen. Abschließend gelangt Krätzer zu „modelltheoretischen Überlegungen zum idealen Standort“ von diplomatischen Vertretungen, als da wären: kurze Distanz zum Regierungsviertel, günstige (Fern-)Verkehrsanbindung, Nähe zu Grün- und Erholungsflächen, Ausstattung mit „sozialer Infrastruktur“ (Schulen etc.). Erstaunlicherweise spielen Sicherheitsfragen, wie sie jüngst bei den Berliner Vertretungen der USA und Israels akut geworden sind, eine untergeordnete Rolle. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis, 16 Abbildungen und 51 Tabellen sowie die Materialien einer Befragungsaktion des Autors bei 40 Staaten runden die wegen ihrer empirischen Akribie aufschlußreiche Arbeit ab.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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