Eine Rezension von Monika Melchert


Ein vielfach erwartetes, erfreuliches Buchereignis

Ute Hechtfischer/Renate Hof/Inge Stephan/Flora Veit-Wild (Hrsg.): Metzler Autorinnen Lexikon

Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1998, 617 S.

 

Ein außerordentlich verdienstvolles Unternehmen ist es, das die vier Herausgeberinnen auf den Weg brachten und damit allen Literaturwissenschaftlern, weltliterarisch Interessierten, Studenten und Laien - bei weitem nicht nur Frauen - ein Nachschlagewerk an die Hand geben, mit dem man sich einen Überblick über weibliches Schreiben seit nahezu tausend Jahren verschaffen kann. Die Bilanz fällt beträchtlich aus, sowohl in der Quantität der Autorinnen als auch im künstlerischen Gewicht der von Frauen geschriebenen Literatur, die hier zusammengetragen wurde.

Dabei wurde das Kompendium auf vierhundert Autorinnen begrenzt, damit es überhaupt handhabbar bleibt. Der Anspruch auf bibliographische Vollständigkeit wird nicht erhoben - und so kann es schon mal vorkommen, daß Eingeweihte zu bestimmten Autorinnen selbst mehr Bücher kennen, als hier verzeichnet stehen -, jedoch ein zumeist sehr anschaulicher Überblick über Werk und Lebensbedingungen der jeweiligen Schriftstellerin angestrebt. So lesen sich einige Beiträge tatsächlich wie eine kurzgefaßte Lebensgeschichte, biographische Koordinaten mischen sich auf kurzweilige Art mit werkgeschichtlichen und interpretatorischen Aspekten. Wie bei jedem Lexikonartikel kam es auch hierbei darauf an, in einer textlich von vornherein eng begrenzten Darstellung so viele und so präzise Informationen wie möglich gut lesbar unterzubringen. Das ist durchweg gelungen. In den besten Fällen sind schöne Porträts entstanden, die dazu einladen, nun zu den Werken der Schriftstellerinnen selbst zu greifen, nachzulesen, was hier andeutungsweise präsentiert wird.

Anders ist es schon mit den Auswahlkriterien. Im Vorwort schreiben die Herausgeberinnen: „Von der Mystik bis zum postmodernen Experiment, von Korea bis Kanada, von Skandinavien bis Peru, von der Staatsdichterin bis zur inhaftierten Regimegegnerin“ wollen sie Autorinnen vorstellen. Dabei deutet das letztgenannte Charakteristikum auf ein im Buch tatsächlich vorkommendes Problem. Wenn man Autorinnen aufnimmt nach ihren politischen Statements bzw. nach ihrer Verwertbarkeit im gegenwärtigen ideologischen Polarisierungsprozeß, dann scheint mir das Auswahlprinzip schief. Das sollte für ein literaturwissenschaftliches Lexikon generell kein Entscheidungsgrund sein, sondern einzig ihre literarische Qualität. Auch die Gewichtung der Beiträge wird davon beeinflußt. Daß z.B. Brigitte Kronauer mehr Text bekommt als die Literaturnobelpreisträgerin Nadine Gordimer oder eine zweitklassige Autorin wie Herta Müller groß herausgestellt wird, während andererseits die Schriftstellerin Helga Königsdorf sehr kurz wegkommt oder antifaschistische Autorinnen wie Elisabeth Reichard oder Marie-Thérèse Kerschbaumer gar nicht vorkommen, ist zumindest angreifbar. Natürlich können die Herausgeberinnen immer begründen, eine Auswahl muß schließlich getroffen werden, doch ist eine gewisse Tendenz nicht übersehbar.

Insgesamt sind Schriftstellerinnen aus der ganzen Welt zu finden und, was ich für besonders bemerkenswert halte, darunter viele aus Afrika, Lateinamerika und auch Asien: Autorinnen aus Ghana und Nigeria, Ägypten und Algerien, aus Brasilien und Argentinien, Guadeloupe und Nikaragua, aus China, Japan und Neuseeland - wie beispielsweise Keri Hulme, geb. 1947, die in Romanen und Erzählungen die Maori-Mythologie ihrer Vorfahren adaptiert. Das 19. und 20. Jahrhundert sind naturgemäß am stärksten präsent, denn in vielen Nationen begannen erst in diesem Zeitraum Schriftstellerinnen überhaupt zu veröffentlichen. Selbstverständlich fehlt nicht die Würdigung einer der frühesten bekannt gewordenen Dichterinnen, Sappho, geb. 612 auf der griechischen Insel Lesbos, und der berühmten mittelalterlichen Autorinnen wie Mechthild von Magdeburg oder Marguerite de Navarre. Besonders schön der Artikel über die wunderbare mexikanische Dichterin, die Karmeliterin Sor Juana Inés de la Cruz aus dem 17. Jahrhundert, als spanische Literatur und Kunst auch in der Neuen Welt blühten und in einer Symbiose eine neue Kultur befruchteten. Sie, die „zehnte Muse Mexikos“, wird wegen ihres hohen Bildungsgrades und ihres ausgeprägten weiblichen Selbstbewußtseins zuweilen gar als erste Feministin Lateinamerikas bezeichnet.

Unter dieser breiten Auswahl wiederum bilden deutsche Autorinnen das Gros. Das Übergewicht liegt berechtigterweise bei Gegenwartsautorinnen und solchen, die im deutschen Sprachraum bekannt sind, d. h. viel gelesen werden. Ost- und westdeutsche Schriftstellerinnen allerdings scheinen mir dabei durchaus nicht gleichgewichtig aufgenommen worden zu sein. So findet sich Karin Struck, aber nicht Brigitte Struzyk, Angelika Mechtel, aber nicht Beate Morgenstern, da stehen Anne Duden, Jutta Heinrich, Ginka Steinwachs (um nur Beispiele zu nennen), doch manche Autorin, die im ostdeutschen Literaturkontext eine vergleichbare Rolle gespielt hat, bleibt draußen. Damit ist nichts gegen den Wert weder der einzelnen Autorinnenporträts noch des ganzen Lexikons gesagt, aber bemerkt werden solche Unterschiede doch. Möglicherweise spielt dabei eine nicht außer acht zu lassende Rolle, daß die Herausgeberinnen ihre Erfahrungen überwiegend im westlichen Literaturprozeß gesammelt haben.

Ein benutzerfreundlicher Apparat mit Registern und ausführlicher Bibliographie zu weiterführender Literatur macht den Band, analog dem Muster des „Metzler Autoren Lexikons“, zu einem vielfach erwarteten, insgesamt erfreulichen Buchereignis.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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