Eine Rezension von Eberhard Fromm


Ein besonderer Spaziergang durch deutsche Landschaften

Friedmar Apel: Deutscher Geist und deutsche Landschaft
Eine Topographie.

Albrecht Knaus Verlag, München 1998, 251 S.

 

Mit diesem Buch des Paderborner Literaturwissenschaftlers Friedmar Apel (1948) begibt sich der Leser auf eine Wanderschaft durch die deutsche Literatur, die von Jakob Böhme (1575-1624) bis zu der heute erfolgreichen Romanschriftstellerin Herta Müller (Der Fuchs war immer schon der Jäger, 1992; Herztier, 1994) reicht. Aber es ist weder eine kurze Literaturgeschichte noch eine andere Art von Einführungen oder Überblicken. Auf eine ganz eigene Weise sucht der Autor nach dem Platz und der Bedeutung der Landschaft im Werk der verschiedenen Schriftsteller seit dem 17. Jahrhundert. Mit seiner „Topographie“ sieht er sich in einer langen Tradition der Germanistik, die immer wieder Versuche unternommen hat, die in den Werken der Dichter und Schriftsteller dargestellte Landschaft zu analysieren. Trotzdem meint er, daß es noch längst nicht genügend geklärt sei, warum die Landschaftsdarstellung „gerade in Deutschland die reichste und eigentümlichste Tradition ausgebildet“ habe.

Beginnend mit dem sprachschöpferischen Philosophen Jakob Böhme („Die Sprache der Natur“) geht die Lesereise über Johann Georg Hamann („Natur als Bild und Text“), Johann Gottfried Herder („Der sinnliche Mensch und Leser“) und Immanuel Kant („Naturerfahrung und Autonomie“) zu Karl Philipp Moritz („Landschaft und unglückliches Bewußtsein“), bei dem das Erlebnis der Landschaft stets zur Erfahrung eigener Einsamkeit gerate.

Wird Moritz mit seinem stark autobiographischen psychologischen Roman Anton Reiser noch als Autor zwischen Aufklärung und Romantik gesehen, so beginnt mit Ludwig Tieck, bei dem die Sprachschöpfung „Waldeinsamkeit“ hervorgehoben wird, die Reihe der Vertreter der deutschen Romantik von den Schlegels und Novalis bis Clemens von Brentano, Friedrich Hölderlin („Landschaft und Selbstbefreiung“) und E. T. A. Hoffmann („Der Schauer der Landschaft“). Novalis wird mit dem Hinweis charakterisiert, daß bei ihm zum ersten Mal die Literatur emphatisch Partei für die Natur ergreife. Bei Novalis, so der Autor, „wird die Metapher der Lesbarkeit der Landschaft zur Kritik der entsinnlichten Gelehrsamkeitskultur der Aufklärung, des ,trockenen‘ 18. Jahrhunderts mit seiner rationalistisch begründeten Überzeugung, die wirkliche Welt sei die beste aller möglichen“.

Über Heinrich von Kleist („Der Held vor der Landschaft“), Annette von Droste-Hülshoff, Carl Gustav Carus, Theodor Fontane und Wilhelm Dilthey („Landschaft und Erlebnis“) führt der Weg ins 20. Jahrhundert. Nach Stefan George und Hugo von Hofmannsthal wird vor allem bei Rudolf Borchardt („Der Deutsche in der Landschaft“) gezeigt, wie sich in der Landschaft und Dichtung das Subjekt in seiner Zeitlichkeit entziffert: „Bei keinem anderen Dichter des 20. Jahrhunderts hat sich die Begrifflichkeit und Bildlichkeit von Landschaft und Natur so tief in Sprache und Denken eingesenkt wie bei Rudolf Borchardt.“ Kritisch setzt sich Apel mit Josef Nadler auseinander, der seine Literaturgeschichte nach 1933 für die Belange der nationalsozialistischen Ideologie umgeschrieben hatte. Dabei macht er an diesem Beispiel darauf aufmerksam, wie wenig es brauchte, um tradierte Vorstellungen der Landschaftsbindung des Menschen zum rassistischen Kampfmittel umzuformen (vgl. S.187ff.). Mit Thomas Mann, Theodor W. Adorno und eben Herta Müller geht dieser besondere Spaziergang mit deutschen Dichtern, Denkern und Schriftstellern durch deutsche Landschaften zu Ende.

Für den Leser ergeben sich zwei Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Buch: Erstens liest man es „in einem Zug“ und erhält so einen Einblick in das Werden und Verändern der Landschaftsdarstellung in der deutschen Literatur. Wer so herangeht, sollte gleich nach der Einleitung den kurzen Exkurs zu dem Volkslied „Kein schöner Land“ lesen, weil dort die inhaltlich knappste Bestimmung eines der Hauptprobleme erfolgt: die kollektivistische Wertschätzung der eigenen Landschaft, die gegen das Fremde gesetzt wird. Zweitens könnte ich mir vorstellen, daß ein Leser mit viel Zeit die jeweilige Charakteristik des Autors als Ausgangspunkt für eigene Entdeckungen bei den verschiedenen zitierten Literaten nimmt. Sich bei dem Lesen „seiner“ Dichter und Schriftsteller auf ihren Umgang mit der Landschaft und Natur zu konzentrieren, kann ich mir durchaus als ein intellektuelles und zugleich emotionales Lesevergnügen vorstellen. Und dazu liefert Apel einen ausgezeichneten Start.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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