Eine Rezension von Christel Berger


Der gärtnernde Dramatiker und die Schauspielerin

Jean Benedetti (Hrsg.): Mein ferner lieber Mensch
Anton Tschechow und Olga Knipper. Liebesbriefe.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 413 S.

 

Im September 1898, bei den Proben zu seinem Stück „Die Möwe“, begegnete Anton Tschechow der Schauspielerin Olga Knipper zum erstenmal. Das war in Moskau, Tschechow war 38 Jahre alt und bereits schwer Lungenkrank. Olga Knipper galt mit ihren 30 Jahren als noch junge, aber vielversprechende Schauspielerin. Sie hatten als Freunde, Liebes- und Eheleute nur fünf gemeinsame Jahre bis zu Tschechows Tod. (Olga Knipper überlebte Tschechow um 55 Jahre und wurde noch zu Lebzeiten zur „Tschechow-Legende“.)

Weil der Dramatiker aus Gesundheitsgründen den Winter im Süden verbrachte und die Schauspielerin oft täglich in Moskau auf der Bühne stand, ist die meiste Zeit ihrer Beziehung für die Nachwelt in Briefen aufbewahrt. Fast täglich schrieben sie sich. Die Publikation dieses Briefwechsels ist einerseits für die Theatergeschichte interessant, ja unentbehrlich, andererseits gibt sie Einblicke in die Persönlichkeit beider sowie die Art ihrer Beziehung. Sie liebten sich, als wären sie zum erstenmal verliebt, und die Kosenamen „Großmütterchen“, „Hund“, „Kindchen“, „Puppelchen“, „Liebling“, „Liebster“ verraten eine ganze Palette von Rollen innerhalb des Liebesspiels der beiden. Ihre Liebe war leidenschaftlich und gleichzeitig vorsichtig - in Sorge um den anderen. Immer meinte ein Partner, nicht genug von der Arbeit des anderen zu erfahren.

Tschechow litt unter der Einsamkeit in Jalta, während er seine Frau und Geliebte im Trubel der Moskauer Theaterwelt wußte, einer Welt, die stark von seinen Stücken geprägt war. Manchmal wirken die Briefe sehr banal, geht es doch auch um das leidige Haarschneiden oder die neue Garderobe. Aber erstaunlich, wie beide aus den „Halbtönen“ Stimmungen und Verstimmungen herauszuhören vermeinen und sich so als Profis für Dialoge einschließlich des Ungesagten zu erkennen geben. So erscheint Tschechow selbst oft wie ein Held aus seinen Stücken: distanziert und voll feiner Heiterkeit, der um die Dinge des Lebens weiß und meistens darüber schweigt. Und Olga Knipper schafft es, einen solchen Mann zu begeistern und auf Dauer für sich zu gewinnen. Freilich werden Spezialistinnen auf dem Gebiet der Emanzipation viel finden, was auf traditionelle Rollen und patriarchalische Dominanz hinweist. Aber: Die Briefe sind um die Jahrhundertwende geschrieben, und im Alltag war die Beziehung der beiden doch recht „modern“: die berufstätige Ehefrau und der gärtnernde Hausmann, der nur nebenbei ein paar Dramen von Weltgeltung schrieb.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite