Eine Rezension von Ulrich Blankenfeld


Intimitäten ohne Intimität

Belmen O: Der nackte Soldat
Nachwort von Elfriede Jelinek.

Ritter Verlag, Klagenfurt und Wien 1999, 178 S.

 

Welches Buch muß man wirklich lesen? Muß Mann oder Frau den Roman Der nackte Soldat lesen? Man muß nicht mal, wenn Mann oder Frau auf der Seite der fundamentalistischen homosexuellen Streiter steht. Mann kann, sofern ihn der Titel scharf macht. Der Titel hat was! Auch Symbolisches, Entmystifzierendes, Lotsend-Lockendes. Ein guter Titel macht noch kein gutes Buch. Der Titel verspricht zuviel. Das Buch hält zuwenig.

Ein Roman ist Der nackte Soldat nicht. Nicht mal ein moderner, experimenteller Roman. Das Buch läuft zu oft neben der Literatur her. Am besten ist es, wenn es gar nicht literarisch sein will, wenn der Autor der Berichtende bleibt, der Szenen des Schwulseins schreibt. Am allerbesten ist er, wenn er die Szenen schonungslos schildert. Wenn er über die tatsächlichen, meist psychologisch entwickelten Machtverhältnisse der Mann-Mann-Beziehung spricht. Wenn er reflektiert, was die anerkannte postierte, positionierte, propagierte Männlichkeit in der Szene ausmacht. Wenn er ohne Bitterkeit über die Intimitäten redet ohne Intimität der Schwulenbegegnungen. Wenn er seine Verachtung für heterosexuelle Wirklichkeit auskotzt. Der eingeschworene schwule Autor verbietet sich jegliche falsche Freundlichkeit. Die rigorosen Geschichten seiner Biographie, die sich zu einer Biographie des schwulen Lebens fügen, machen manches wesentlich und das Buch wichtiger als viele wichtig gemachten. Sicher war es nicht nur die Rigorosität, die den Verfasser veranlaßte, sich hinter dem Pseudonym Belmen O zu verbergen. - Den Namen deuten? Ihn als eine französisch-englische Wortkombination lesen oder es bleibenlassen? - Daß der Anonymus möglicherweise A wie Alwin heißt, Anfang Vierzig ist, elternlos, arbeitslos, Katholik, einer von der Sorte, die „von einem zum anderen unterwegs“ sind, das heißt zwischen Budapest und San Francisco auf der Pirsch, erfährt der Leser früh genug. Von Szene zu Szene. Nichts Neues aus der schwulen Welt. Doch auch das Wiedererkennen ist ein Spaß, den sich schwuler Mann ungern entgehen läßt. Um Spaß und Spannung zu steigern, sollten die Leser das Buch anfangen, wo es endet. Sozusagen als Nachschlag gibt’s ein Nachwort von der ganz gewiß nicht für Gefälligkeiten berühmten Frau Elfriede. Die Jelinek, die ein durchweg literarisch-essayistisches Stück zum Buch beisteuert, hebt den Autor nicht in den Homo-Himmel. Sie macht stolz auf den selbstgeschaffenen irdischen Himmel der Homos. Das ist es, was die Schwulen schon immer mal gesagt bekommen wollten. Der Verfasser von Der nackte Soldat ist auch so ein stolzer Schwuler.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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