Eine Rezension von Hans-Rainer John


Ein romantischer Held im Untergang

Angelika Mechtel:Das kurze heldenhafte Leben des Don Roberto
Ein karibischer Roman.

S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1999, 432 S.

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Das ist ein ausgezeichnetes Buch, die Lektüre bereitet großes Vergnügen, man möchte keine Seite missen. Dabei ist das weder kriminalistischer Spannung geschuldet noch einem neuartigen Thema oder einem überraschenden Konflikt. Man kennt schließlich schon längst Robin Hood, der von den Reichen nahm und den Armen gab, und auch die Geschichte des edlen Piraten Klaus Störtebeker, der in Hamburg enthauptet wurde, ist populär. Und es war Brecht, der in seiner „Mutter Courage“ das Schicksal des Fierling-Sohnes umriß, der ein Opfer des Profosses wurde, nur weil er auch in einer kurzen und rasch vorübergehenden Zeit des Friedens mit jener Tätigkeit fortfuhr, für die er während des Krieges belohnt und belobigt worden war.

Nein, der Wert des neuen Romans von Angelika Mechtel - im S. Fischer Verlag erschien von ihr 1990 Jeden Tag will ich leben und 1994 Die Prinzipalin - besteht in der historischen Konkretheit ihrer Geschichte und der psychologischen Genauigkeit und Differenziertheit, mit der das Figurenensemble gestaltet ist, sowie in der gedanklichen Tiefe und im sprachlichen Glanz des Textes, der auch den Zauber der karibischen Insel und ihrer Bewohner einfängt.

Die Autorin lebt in Köln und auf Puerto Rico. Auf der Insel begegnete sie den Legenden und Mythen, die sich um die historische Gestalt des Don Roberto Cofresi gebildet haben, der 1825 im Alter von 33 Jahren von den Kugeln eines Pelotons hingestreckt wurde. Sie spürte den überlieferten Dokumenten nach und füllte die Lücken mittels ihrer Phantasie und historischer Kenntnisse auf.

Roberto war offiziell bestallter Korsar des Königs von Spanien; das war eine geachtete und hochangesehene Tätigkeit, die die Seeherrschaft Spaniens sichern half und die spanischen Kolonien mit dringend benötigten Waren versorgte. Da tagte der Wiener Kongreß. Das Metternich-Diktat zwang die spanische Krone, alle Kaperbriefe für ungültig zu erklären. Die Freibeuter aber vermochten kaum andere Arbeit zu finden, und die Menschen auf den Inseln wollten mit Waren des täglichen Bedarfs versorgt werden. So ignorierten sie schlichtweg die Weisung aus Madrid. Sie fuhren fort, fremde Schiffe aufzubringen - nun als Vogelfreie, allerdings von der Solidarität der Inselbewohner geschützte Piraten. Der junge Roberto, der als besonders klug und kenntnisreich, geschickt und tüchtig hervorstach und der imstande war, eine Crew mitzureißen, wurde zum Kapitän gewählt. Er orientierte seine Mannschaft auf eine humane Strategie, die sich im wesentlichen auf das Requirieren von Waren beschränkte, die Gegner und ihre Schiffe aber schonte. Das Verfahren wurde jedoch keineswegs gewürdigt oder belohnt, es erwies sich sogar als tödlich für die Seeräuber. Die beraubten Schiffseigner vermochten nun nämlich, anklagend ihre Stimme zu erheben und ihre Länder zur Intervention zu zwingen. England, Frankreich und Amerika vereinten so im Namen der Handelsfreiheit ihre Kräfte gegen die Gleichgültigkeit der Behörden von Puerto Rico, bis die Piraten schließlich Opfer einer raffiniert eingefädelten konzertierten Aktion wurden.

Die Autorin hat dabei die historische Umbruchsituation hervorragend herausgearbeitet: Dampfmaschine, Elektrizität und Telegraf kommen auf, die spanische Vorherrschaft wird durch die amerikanische abgelöst, und die Zeit der romantischen Glücksritter, die Ruhm, Glanz und Reichtum erwarben, geht unerbittlich zu Ende. Aus romantischem Heldentum, mit dem man vor kurzem noch ein gigantisches Vermögen verdienen konnte, wird lebensgefährliche Donquichotterie - die Betroffenen sind nur noch nicht in der Lage, die für sie aussichtslose Situation zu erkennen.

Dabei werden die Piraten keineswegs idealisiert. Sie wollen natürlich Wohlstand erwerben, aufsteigen, sie sind auf ihren Vorteil bedacht, und Interessengegensätze brechen immer wieder auf, so daß Robertos ganzes Geschick gefordert wird, zwischen ihnen zu vermitteln und auszugleichen. Auch sind die Inselbewohner keine homogene Masse. Auch hier gibt es Reiche und Arme, Selbstlose und Durchtriebene. Es gibt Pastelita, sowohl als Hure als auch als Heilerin und Geburtshelferin unentbehrlich, es gibt den armen und aufrechten Schildkrötenfänger Ramon, und es gibt seinen Bruder Joaquin, der als erbärmlicher Spitzel dient.

Robertos Frau, die zum zweitenmal ein heißgeliebtes Kind verliert, tröstet sich mit dem plötzlichen Reichtum, der durch Robertos Erfolge ins Haus kommt, und empfindet sich als Geschäftsfrau. Zugleich wird eine gewisse Entfremdung zwischen den Eheleuten spürbar. Robertos Sehnsüchte kreisen immer stärker um seine sinnliche, ihn begehrende Schwägerin Juana, aber er kämpft die Neigung tapfer nieder, bleibt der verläßliche Ehepartner. Juanas schwärmerische Phantasien dagegen finden andere, überraschende Zielpunkte. Eine hintergründige Liebesgeschichte, mit Takt und Geschmack erzählt.

Keine billigen, kolportagehaften Lösungen. Nichts Lautes, Grelles, Geschwätziges. Dafür glaubhafte, ziseliert dargestellte Menschenschicksale, die interessieren und berühren. Die historische Distanz wird kaum spürbar.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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