Eine Rezension von Friedrich Schimmel


Der Mythos einer Stimme

Jürgen Kesting: Maria Callas

Econ Taschenbuch Verlag, München 1998, 431 S.

 

Jürgen Kesting ist ein Callas-Kenner, sein Buch strotzt geradezu vor Kennerschaft. Daß es der Verlag auf dem Innentitel mit Roman annonciert, ist ein seltsam-komisches Zugeständnis an Leser, die vielleicht lieber einen Roman hätten. Ein Roman im übertragenen Sinne ist freilich auch die Biographie der Sängerin Maria Callas. Seine erste große Begeisterung für die in New York geborene Griechin empfand der Autor während einer Rundfunkübertragung aus Berlin. Die Callas sang die Lucia di Lammermoor, und Kesting empfand die Stimme „zugleich als körperliche Berührung und als eine Idee: als etwas Unverlierbares“. Doch es vergingen noch Jahre, bis er begriff, daß es viel mehr als die Stimme war, die ihn begeisterte. Nicht „wie sie sang, die Einsicht wurde, warum sie sang: aus Passion“. Damit gab sie der Oper, die zu allen Zeiten schwere Kämpfe und Anfechtungen zu überstehen hat, eine neue Bedeutung und einen inneren Sinn. Der Stimme „eines suchenden Hörenden“, diesem Phänomen ist der Autor nachgegangen. Im Gegensatz zu den mehr als zwanzig Büchern über die Callas, die nur die Chronique scandaleuse dieser Frau aufbauschten.

Jürgen Kesting beschreibt die „magnetischen Vibrationen“ dieser Stimme, er erzählt ausführlich von der Technik, wie es zu dieser Leistung kam. Einmal die schöne, dann wieder die häßliche Stimme, die Callas als Königin der Scala, die vielumjubelte Diva und die später geschmähte, als der Ruhm verebbte, die launigen Skandale das erwartungsvolle Publikum verstimmten. Nicht nur in der Oper, auch in immer häufigeren Gala-Konzerten führte die Callas ihre brillanten Kunststücke vor. Ihre ganz außerordentliche theatralische Qualität verband sie mit dem „Geheimnis der sprechenden menschlichen Gebärde“, einem „Singen als erfühlte und erfüllte Empfindung“. Jene einzigartige Darstellungs-Magie war es, die Opernbegeisterte in glühende Enthusiasten verwandelte. Auch Jürgen Kesting ist davon erfaßt worden. Solange er seine Erfahrungen und Erlebnisse mit dieser Stimme mitteilt, überträgt sich das auch auf den Leser. Aber wie leider sooft, große Opern- und Gesangsbegeisterung baut sich ein eigenes Serail auf, und das ist hier in dieser Biographie derart vollgestopft mit Zitaten, Meinungen, Ansichten von vielen Zeitgenossen der Callas, daß es mitunter zuviel des Guten wird. Überhaupt ist Kesting nicht nur von der Callas begeistert, er ist ein ungebremst fanatischer Anhänger einer Symbolfigur. Bei dieser Frau freilich auch kein Wunder. Denn es ist eine unumstößliche Tatsache, daß der Ruhm der Callas „in dem Maße gewachsen ist, wie sie sich von der Bühne - auch von der gesellschaftlichen - zurückgezogen hat“. Ein Nachleben in vielen Plattenaufnahmen ist ihr sicher. Und wer noch einmal die Erscheinung der Sängerin sehen möchte, der kann sich in diesem Taschenbuch daran - in leider nur grauen Fotos - satt sehen. Die Callas als Rosina, als Medea, als Lucia oder als Amina auf der Bühne der Mailän der Scala. Der große Ausdruck ihrer Augen fasziniert auch auf diesen blassen Fotos. Leidenschaft und Leiden, Größe und Verstummen, das sind bei einer solchen außerordentlichen Sängerin natürlich Themen von besonderer Brisanz. Jürgen Kesting sieht in seiner romanähnlichen Biographie das Geheimnis dieses Singens darin, „daß es erlitten wird und erleidbar ist“.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite