Wiedergelesen von Jan Eik


Ursula Madrasch-Groschopp: Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift

Buchverlag der Morgen, Berlin 1983, 440 S.
Bechtermünz Verlag im Weltbild Verlag, Augsburg 1999, 440 S.

 

Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Der Bechtermünz/Weltbild Verlag hat Ursula Madrasch-Groschopps „Weltbühnen“-Porträt von 1983 in nahezu identischer Ausstattung nachgedruckt und liefert es erfreulicherweise zu einem Preis, der noch unter dem der DDR-Ausgabe liegt. Gerade dreißig Mark kostet der großformatige, mit zahlreichen Abbildungen und gut reproduzierten Fotos versehene Band, der ein einmaliges Kompendium der Zeitschrift und ihrer Mitarbeiter zwischen 1905 und dem Neubeginn ab 1946 darstellt.

Die erste Nummer der „Schaubühne“, wie das Blättchen bis 1918 hieß, erschien am 7. September 1905, die letzte Nummer im Sommer 1993, nachdem Peter Jacobsohn, der Sohn des Gründers Siegfried Jacobsohn, den Herausgebern aus der ehemaligen DDR den weiteren Gebrauch des Namens verboten hatte. In Hannover und Berlin erscheinen inzwischen „Ossietzky“ und „Das Blättchen“, gutgemeinte Nachfolger der einmaligen Wochenschrift. „Schaubühne“ und „Die Weltbühne“ sind untrennbar mit den Namen Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky verbunden. Tucho war S. J.s fleißigster Mitarbeiter seit 1913. Oss alias Lucius Schierling kam erst nach 1926 als Leitartikler hinzu. Beide übernahmen nach dem frühen Tod S. J.s im September 1926 die Herausgabe der ziegelroten Hefte. Tucholsky zog sich bald mehr und mehr zurück, Ossietzky blieb der Chef bis zum bitteren Ende im März 1933. Kurzzeitig in Wien unter Willi Schlamm (später William S.), dann mit Hermann Budzislawski als Chefredakteur in Prag und schließlich in Paris erschien die „Weltbühne“ dennoch weiter, bis sie im September 1939 ihr Erscheinen einstellen mußte.

Fast 400 Seiten widmet die Autorin diesen knapp dreieinhalb Jahrzehnten Zeitschriften- und Zeitgeschichte. Und sie versteht es, diese Geschichte überaus lebendig und anschaulich und ohne falsche Rücksichtnahme zu erzählen. Drei Blöcke „Autoren über Autoren“ ergänzen ihren mit Fakten und Anekdoten gespickten Text, wobei allein die Liste der Namen sich liest wie eine deutsche Kulturgeschichte der ersten Jahrhunderthälfte. Sie reicht von Hugo von Hofmannsthal über Roda Roda, Morgenstern, Kisch, Klabund, Döblin, Klaus Mann, Kästner, Heinrich Mann und O. M. Graf bis zu Brecht.

Im Frühjahr 1946 erwarb Ossietzkys Witwe eine britische Lizenz für eine Neuherausgabe, die dann kurzfristig im sowjetischen Sektor Berlins zustande kam. Hans Leonard, der um 1920 bei S. J. volontiert hatte, wurde für zwanzig Jahre Chefredakteur und Herausgeber des Blättchens, dessen Existenz in der DDR immer eine - nicht ungefährliche - Besonderheit blieb.

Ursula Madrasch, 1947 als Redaktionsassistentin in das Zweimannunternehmen eingetreten und später mit dem Regisseur Richard Groschopp verheiratet, blieb fast dreißig Jahre lang Stellvertreterin Leonards und seiner Nachfolger Hermann Budzislawski und Peter Theek. Als gelegentlicher (und damals noch sehr jugendlicher) Autor, der in der „Weltbühne“ seine ersten Glossen veröffentlichte, erinnere ich mich daran, wieviel vom alten „Weltbühnen“-Geist, den die Autorin in ihrem Buch beschwört, noch in der Redaktion in der Mauerstraße zu spüren war.

Leonard, ein Chefredakteur höchst altmodischen Zuschnitts, lud noch den jüngsten Autor zum ausführlichen Gespräch bei Tee und Keksen ein und sorgte dafür, daß der sich zugehörig fühlte zur Gemeinschaft der „Weltbühne“-Autoren. Dazu gehörten in erster Linie Jean Villain, dessen erste Reportagen noch unter seinem bürgerlichen Namen Marcel Brun erschienen, Peter Edel, Lothar Kusche und der leider fast vergessene Günther Cwojdrak, Jürgen Kuczynski, Lothar Lang, Bruno Frei und Hugo Huppert aus Wien, Helly M. Reifferscheidt mit Münchener Theaterkritiken ... Es wäre eine lange Liste, und nicht jeder Name hat heute einen guten Klang. Und wer die alten Hefte aus den vierziger Jahren und frühen fünfziger Jahren besitzt, der weiß, daß vorher Alfred Kantorowicz, Friedrich Luft, Wolfgang Leonhardt oder Gerhard Zwerenz zu den Autoren gehört hatten. Daß sie alle nicht genannt sind, darf nicht verwundern: Das Buch erschien 1983 in der DDR.

Nach Leonards Erkrankung steuerte Ursula Madrasch das Blatt lange Monate durch die tückischen Wogen ostdeutscher Kulturpolitik. Es war die Zeit nach dem berüchtigten 11. Plenum. Auch darüber findet sich nichts in dem Buch, denn als die Autorin 1976 in den wohlverdienten Ruhestand trat, beschloß sie zwar, die Geschichte des Blättchens zu erkunden und aufzuarbeiten, dem sie in all den Jahren mehr als nur ihre Arbeitskraft gewidmet hatte, beschränkte sich jedoch von vornherein auf die Zeit bis 1952. Aus Vorsicht oder Bescheidenheit? „Er schob sich nicht in den Vordergrund“, urteilt sie über ihren Chef Leonard - eine Tugend, die sie ihm nicht erst abschauen mußte.

„... denn wenn man zuviel weiß, dann läßt sich’s häufiger sehr viel schwieriger darstellen“, schrieb sie mir zu diesem Thema schon 1984. „Geschichte muß manchmal erst etwas Patina ansetzen, um wieder auseinandergenommen zu werden. Aber Sie können beruhigt sein, ich habe alles, was übrigblieb, gesammelt und will es noch so ordnen, daß die nächste Generation sich zurechtfinden kann, und die kann’s ja dann schreiben. Es sei, ich werde 80 Jahre alt und bin dann noch so lebendig wie Jürgen Kuczynski ...“

Diese Altersgrenze hat sie inzwischen überschritten. Die Aufgabe für die nächste Generation aber besteht noch. Ich hoffe, jemand löst sie wenigstens annähernd so gut wie Ursula Madrasch.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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