Eine Rezension von Volker Strebel


Kosmos Kersko

Bohumil Hrabal: Ich dachte an die goldenen Zeiten
Aus dem Tschechischen von Susanna Roth.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1999, 220 S.

 

In Bohumil Hrabals Romanen wurden immer wieder autobiographisch entlehnte Lebensabschnitte erzählt: Kindheit und Jugend, aber auch Phasen der späteren Jahre. In Hochzeiten im Haus erfährt der Leser, wie ein erfolglos schriftstellernder Sonderling seine zukünftige Frau kennenlernt und wie es zur Hochzeit kommt. Der vorliegende Roman Ich dachte an die goldenen Zeiten stellt den dritten Teil der Hochzeiten im Haus dar, der bereits vor der politischen Wende in einem kanadischen Exilverlag erschienen ist. Das junge Paar bestreitet seinen Alltag, und - was ganz wichtig ist - gleich auf den ersten Seiten wird aus dem Schubladendichter ein richtiger Schriftsteller mit erfolgreichen Veröffentlichungen. Da ein vernünftiges Zusammenleben nicht mehr erträglich schien, hatte seine junge Frau die Sache endlich in die Hand genommen: „Das Vorabexemplar des ersten Buches meines Mannes wollte und wollte nicht kommen, er hatte sogar zu trinken aufgehört und brüllte nachts, er werde aus dem Fenster springen, er werde sich vor einen Zug werfen, da zog ich an meinem nächsten freien Tag mein Paradekleidchen und meine roten Schuhe mit den Stöckelabsätzen an, ich nahm meinen Regenschirm und machte mich auf den Weg zum Verlag.“

Und fortan regiert diese Erzählperspektive aus der Sicht der jungen Ehefrau diesen Roman. Was nicht heißen soll, daß Hrabals Held und potentieller Protagonist nicht zum Zuge käme. Hrabal ist ein unermüdlicher Plauderer, der einen in seinen Bann zieht, ganz abgesehen davon, daß einem die Kehle zu brennen beginnt, weil kein Bier da ist. Hrabal zu lesen macht durstig!

Es wird das Licht eingefangen, das am Vormittag in die Prager Vorstadtkneipen fällt. Die Gerüche des Bieres und der gebratenen Stücke Schweinefleisch drängen aus den Seiten in des Lesers Nase. Hrabal wußte von der geheimnisvollen Kraft alles Atmosphärischen. Er war immer dann stark, wenn er sich dieser Magie hingab, sich von ihr willenlos an die Hand nehmen ließ.

Aber nicht nur Prag stellt Orte der Handlung, sondern auch Kersko, eine kleine Siedlung außerhalb von Prag, in welcher sich das Paar ein kleines Wochenendhäuschen gekauft hat. Der Ehemann war verliebt in diesen Wald bei Kersko. Stundenlang durchstreift er die Gegend, betrachtet die Landschaft und besucht die eine oder andere Kneipe, am liebsten die Hájenka.

Die Landschaft! In jeder Gegend findet der Ehemann etwas, das ihm gefällt. Er liebt es, in die Landschaft zu schauen: „Wenn man sie anlächelt, lächelt sie zurück!“

Auffallend in diesem Hrabal-Roman ist, daß parallel zu Hrabals Werdegang und seiner Ehe auch der politische Hintergrund der böhmischen Heimat erhellt wird. In keinem anderen Roman von Hrabal werden so viele authentische Namen und Figuren aufgeführt. Und dabei handelt es sich nicht nur um Schriftstellerfreunde wie Jan Zábrana, Karel Pecka oder den Begründer des Explosionalismus, den Grafiker Vladimír Boudník, der bereits in anderen Büchern seinen Platz gefunden hat. Auch politische Persönlichkeiten wie Eduard Goldstücker, Pavel Kohout oder Heinrich Böll, mit dem Hrabal den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag erlebt hat, werden erwähnt. Aus der Sicht Hrabals. Am Beispiel dieses einschneidenden Ereignisses der bewaffneten Niederwerfung des „Prager Frühlings“ im August 1968 kann man sehen, daß das gesamte Buch aus der Perspektive Hrabals gestaltet ist. Hrabal, der Prager Wirtshausgänger, der Plauderer, der „Champion, die Nummer eins“ und sein Kosmos in Kersko - sie legen die Welt fest. Makaberer Höhepunkt ist eine Geburtstagsfeier Hrabals in der Kneipe Hájenka in Kersko. Geächtete Schriftsteller, Philosophen und ehemalige Reformpolitiker trafen in der kleinen Waldwirtschaft ein. Peinlich wurde es für Hrabal selbst, als ein Polizeikommando die fröhliche Runde überfallartig auflöste und der Dichter, von nackter Angst gepackt, gar nicht heldenhaft reagierte. Nur die Ehefrau frohlockte: „Und ich war nicht unglücklich, im Gegenteil, ich war froh, daß alles in der Hájenka so war, wie es war, weil ich jetzt sah, daß mein Mann gelogen hatte, als er behauptet hatte, er würde die Wahrheit sagen und danach handeln, wie teuer er auch dafür bezahlen müßte ...“

Eine mögliche politische Schwäche gegenüber den kommunistischen Zensoren hatte Bohumil Hrabal spätestens mit diesem Roman wiedergutgemacht, als er Ängste und Versagen zu Wort kommen ließ. Schade ist nur, daß die viel zu früh verstorbene Susanna Roth, die eine wichtige Freundin von Bohumil Hrabal war, die Herausgabe ihrer hervorragenden Übersetzung nicht mehr erleben konnte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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