Eine Rezension von Volker Strebel


Melde gehorsamst, daß wir in der Donau fallen

Jaroslav Hašek: Der Urschwejk und andere Geschichten aus dem alten Europa und dem neuen Rußland

Aus dem Tschechischen von Grete Reiner.
Mit einem Essay von Karel Kosík und einem Nachwort von Hans Dieter Zimmermann.

Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999, 393 S.

 

In seinem polemischen „Schwejk-Nachruf“ endete der große tschechische Romancier Pavel Kohout mit einem nachhaltigen Seufzer: „Nach wie vor liebe ich den Schwejk. Immer mehr hasse ich die Schwejks.“ Er wendet sich damit gegen eine vor allem in der Zeit des Kommunismus sich zusehends ausbreitende Unsitte in Böhmen - die „Schwejkiade“. Ein selbstverordneter Mythos versetzte das Volk der Tschechen in die Rolle des braven Soldaten Schwejk. Einer aufoktroyierten Obrigkeit wird sich nicht direkt widersetzt, sondern in scheinbar naiv-beflissener Dienstbarkeit Folge geleistet. Absurde Machtmechanismen werden somit unterlaufen und deren Sinnlosigkeit aufgedeckt. In diesem böhmischen Selbstbeschreibungsmodell sind alle Tschechen Schwejks, die sich lediglich etwas unpolitisch zu benehmen und bloß keine Verantwortung auf sich zu nehmen brauchen. Ein tückischer Trugschluß, der die Tschechen lange genug in eine passive Opferrolle verbannte.

Den Herausgebern der „Tschechischen Bibliothek“ ist jedenfalls anzurechnen, daß sie ihre Reihe mit einer Entmythologisierung einleiten. Der „Urschwejk“ enthält die fünf ältesten Geschichten von Schwejk, die während des Ersten Weltkriegs spielen. Der Ton kündigt bereits den späteren, weltberühmt gewordenen Schwejk an: „Kommt ein Inspektionsoffizier in die Mannschaftsstube, sitzt der lächelnde Schwejk auf dem Kavallett und grüßt höflich: ,Gelobt sei Jesus Christus, melde gehorsamst‘.“

Schwejk zieht gegen Italien, wird für dienstuntauglich erklärt oder holt Meßwein - und jedesmal wird eine waghalsige Unternehmung daraus. Einen rumänischen Offizier bringt er schier um den Verstand, da er dessen Knurren „Fahren Sie doch zum Teufel“ wörtlich zu nehmen scheint - beide saßen sie in einem Flugzeug und Josef Schwejk am Steuerknüppel...

Im zweiten Teil werden die Abenteuer des „Kommandanten der Stadt Bugulma“ aus der Ich-Perspektive erzählt. Schauplatz ist das revolutionäre Rußland der 20er Jahre. Hier deutet sich ein Ineinandergehen der wirklichen Erlebnisse des Jaroslav Hašek in Rußland mit der Stilisierung eines literarischen Schwejks an, der im Text „Genosse Gaschek“ (d. i. die russische Aussprache für Hašek) genannt wird. Ziel der Ironie ist dieses Mal nicht die absurde Herrschaft der dahinsiechenden K.u.k.-Monarchie unter ihrem Kaiser Franz Josef, sondern die Willkür der Bolschewisten, die unter der Vorgabe, eine neue Welt errichten zu wollen, stattfindet. In 45 thesenartigen Einlassungen, die erstmals auf deutsch veröffentlicht werden, skizziert der bedeutende tschechische Philosoph Karel Kosík einen Zusammenhang zwischen dem böhmischen Schwejk und dem Kommandanten von Bugulma. „Die Entstehung des großen Humors“, so Kosík, ist auf die Erfahrung einer Enttäuschung zurückzuführen: „Die Erfahrung von Bugulma ist ganz anders und alarmierend: Aus den gestern Unterdrückten werden die neuen Unterdrücker, die Verfolgten beginnen selber zu verfolgen. Die Wirklichkeit wird zur Groteske: Die Stotterer hören nicht auf zu stottern, doch sie haben die Macht, und deshalb zwingen sie die Gesellschaft, laut und bombastisch ihre Beredsamkeit zu preisen.“

Ein dritter Teil versammelt 18 komische Geschichten mit unerwarteten Pointen und merkwürdigen Motiven, welche den Autor der entstehenden Dada-Bewegung zuordnen. Sie gipfeln in der Geschichte „Begegnung mit dem Verfasser meines Nekrologs“, in der Hašek den zu Tode erschrockenen, schluchzenden Schreiberling auf den Friedhof führt. Ganz anders als bei Franz Kafka endet diese Begegnung damit, daß der Verfasser des Nekrologs auf Betreiben Hašeks abgeführt wird: „Er wehrte sich mit Händen und Füßen und schrie: ,Ist das Traum oder Wirklichkeit?‘“

Berichte von Zeitgenossen und Freunden Jaroslav Hašeks - wie der Zeichner Josef Lada oder der Dichter Frantisek Langer - runden den atmosphärischen Einblick in die Zeit und das Milieu der Entstehung des „braven Soldaten Schwejk“ ab. Sollte dieser Band in seiner kundigen Zusammenstellung Pate stehen für alle geplanten Bände der „Tschechischen Bibliothek“, so ist den Herausgebern zu danken und den Lesern zu gratulieren.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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