Eine Rezension von Bernd Heimberger


Ausweglose Auswege

Peter Härtling: Gedichte

Herausgegeben von Klaus Siblewski.
Gesammelte Werke, Band 8.

Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999, 746 S.

 

„Sächsische Freundlichkeit“ ist dem Lyriker Volker Braun in der DDR von Kollegen der DDR wiederholt angekreidet worden. Ist einer auf den Gedanken gekommen, Peter Härtling sächsische Freundlichkeit zum Vorwurf zu machen? Kraß formuliert hieße das, vom Kaschieren der Konflikte, von reinem Realitätsverlust zu sprechen. Härtling, sechs Jahre älter als Braun und wie der ein gebürtiger Sachse, war ein bei weitem entschiedenerer Verweigerer der Wirklichkeit. Härtling ein Sachse? Ihn als den zu denken und zu akzeptieren wird allen schwerfallen, die den Schriftsteller längst in die literarische Landschaft Mörikes und Hölderlins eingemeindet haben. Wenn der Lyriker Peter Härtling tatsächlich in einer Landschaft beheimatet ist, dann in der lyrischen Landschaft des Peter Härtling.

Egal, welche Lokalitäten ihm zugeschrieben wurden und werden, Härtling ist ein beständiger Fürsprecher seiner selbst. Die anmaßende Geste des poetischen Volkstribuns ist ihm fremder als dem jüngeren Landsmann, den gewaltige gesellschaftliche Wellenbewegungen hin- und mitrissen. Seinem Gemüt gemäß konnte Härtling erlittene gewalttätige Realität von dichterischer trennen. Infolge des Krieges elternlos geworden, machte der 19jährige mit dem schmalen Gedichtband poems und songs seinen literarischen Anfang. Die Begeisterung fürs Edle, Schöne, Gute, also alles Künstlerische, Ästhetische, ist dem jungen Lyriker ein geeigneter Schutzschild gewesen, um gegen das gefährdete, gefährliche Leben gewappnet zu sein. Die lyrische Wirklichkeit und Wahrheit, die Härtling bildete, war eine neben der realen Wirklichkeit und Wahrheit und deshalb auf Dauer kein Schutz. Ein Mensch schuf sich eine poetische Welt und stellte sich mit seinen ersten Zeilen so vor: „vielleicht ein narr wie ich“. Besser kann der Band 8 der Ausgabe der Gesammelten Werke des Schriftstellers gar nicht beginnen, der die Gedichte von Peter Härtling vereint.

Die Darbietung der Dichtung gleicht einer Retrospektive, wie sie Künstlern eingerichtet wird. Die Werk-Übersicht hat etwas Ehrendes und Feierliches, Lähmendes und Stumm-machendes. In einer solchen Gesamtpräsentation macht ein Gedicht das andere wichtiger, eines das andere geringer. Auch, wenn die Entwicklungen Härtlings vom pur-poetischen Dichter zum prosaisch-polemischen festgestellt wird. Zu Beginn der Neunziger, der Lyriker hat die politische Abstinenz der Jugend schon lange aufgegeben, äußert er ahnend Zweifel an der Friedensfähigkeit seines Landes - und behielt recht! Im Laufe seines Lebens hat Peter Härtling begriffen, daß er sich nicht aus seiner Biographie zurückziehen und nichts aus ihr heraushalten kann. Von der Geschichte getroffen zu sein heißt auch, der Getäuschte zu sein, heißt, sich als Getroffener und Getäuschter zu bekennen. Ausweglos Auswege suchend, sagt Härtling: „Ich beginne / mich in die Sätze / zurückzuziehen, / höre auf,/ zwischen Wörtern / zu atmen.“ Die Gedicht-Sammlung stellt die Frage nach der Bedeutung des Dichters. Die Frage treibt offenbar auch Peter Härtling um und hat ihn aus dem Elfenbeinturm vertrieben. Der Herausgeber der Werk-Ausgabe und Verfasser der „Nachbemerkungen zu Peter Härtlings Gedichten“, Klaus Siblewski, legt sich fest, wenn er schreibt: „Härtling erweist sich als ein Großer seines Fachs.“ Siblewski, der nicht als abgehobener analytischer Besserwisser auftritt, urteilt so über den jüngeren Lyriker, der vom Romancier Härtling abgelöst wurde, der immer wieder Gedichte schrieb. Wägend, wertend, würdigend feiert der Nachwortautor keinen großen deutschen Dichter. Soviel Anstand ist wirklich anständig, weil dem lyrischen Werk des Peter Härtling wirklich angemessen. Ein lächelndes Lob für einen Lyriker, der in einigen Anthologien der Dichtung des Jahrhunderts seine Seite bekommen wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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