Eine Rezension von Christian Berger


Adels Abgang

Lothar Elsner: Die Herrengesellschaft
Bearbeitet von Eva-Maria Elsner und Heinz Koch.

wbv WeymannBauer Verlag, Rostock 1998, 219 S.

 

1789 fackelten die Franzosen nicht lange. Die Ära des Adels zu beenden bedeutete auch, die Vertreter des Adels zu füsilieren. Der deutsche Adel kam 1918 mit der Abdankung des Kaisers glimpflich über die historische Zäsur. Und muckte auf. In rechtsradikalen Freikorpsverbänden verschworen, versuchten die Konservativen mit individuellem und kollektivem Terror, der Weimarer Republik das Lebenslicht auszublasen. Luxemburg, Liebknecht, Eisner, Erzberger, Rathenau wurden ermordet. Im März 1920 wollten die Rekrutierten des Herrn Kapp das Rad der Geschichte zurückdrehen.

Nicht nur im Geiste den Kapp-Putschisten verwandt, rotteten sich im abgelegenen mecklenburgischen Roggow im Juni 1926 27 Militärs, Politiker, Gutsbesitzer zusammen. Einig in der deutschnationalen Gesinnung, war sich die Gruppe auch einig, daß die „wahnsinnig gewordene Politik, die mit dem 9. November 1918 begann“, beendet werden sollte. Die Gesinnungsgenossen waren der Ansicht, daß nur eine Elite - der Adel ließ sich nicht lange bitten! - fähig ist, politische Verantwortung in Deutschland zu übernehmen. Zum Vorsitzenden wählte die „Herrengesellschaft“ genannte Männerclique Wilhelm von Oertzen. Der wer war? Der wie war?

Der Gutsherr und seine Gattin Gerad, eine Gräfin von Westarp, beendeten ihr Leben am 4.Mai 1945 im Park ihres Besitzes. Aus Angst vor den marodierenden Russen? Ihre Verstrickung in die Machenschaften der Nazis eingestehend? Auch die Oertzens waren Opfer des Faschismus. Die letzten! Mit dem Niedergang des Dritten Reiches verschwanden endgültig Preußen und die deutsche Adelsgesellschaft. Die „Herrengesellschaft“ war perdu! Sie hatte den Führer bejaht, bejubelt, befördert. Wilhelm von Oertzen war konsequenter als andere „alte Kameraden“. Er sühnte die Irrtümer, die er mit keiner Handlung korrigierte. Er büßte bitter. Nicht nur mit dem eigenen Leben. Die Erben der Höfe, beide Söhne, „blieben auf dem Feld der Ehre“, das für Oertzen zu einem der Schande geworden war. Der Schandtäter war für den nun erklärten Hitlergegner „der größte Verbrecher der Weltgeschichte“. Sich dem zugewandt zu haben, setzte Oertzen einem Versagen gleich, das er sich nicht verzieh.

Es gibt kaum Gründe, besondere Sympathie für den Gutsbesitzer zu empfinden. Garantiert kein Fehler war es, daß sich der Historiker Lothar Elsner (1933-1996) mit anteilnehmender Aufmerksamkeit um die Geschichte des Mannes kümmerte. Die aufbereitete Personal- und Regionalgeschichte wächst über den einen Menschen, eine Familie und ein mecklenburgisches Dorf hinaus. Positionen, Prinzipien, Privilegien deutschen Adels summieren sich im Schicksal Wilhelm von Oertzens. In dem Buch Die Herrengesellschaft, das durch die wiederaufgetauchten Tagebücher Oertzens erheblich bereichert wurde, ist die große preußisch-deutsche Historie am Beispiel einer kleinen, unheldischen deutsch-preußischen Biographie reflektiert. Der lokale Lebenslauf des Mecklenburgers, Konservativen, Gläubigen ist eine Geschichte zerstörter Hoffnungen, die fest mit dem ererbten Land, den überkommenen Ideen, der christlichen Religiosität verbunden waren. Der Weg des Wilhelm von Oertzen ist nicht der eines Reaktionärs, der zum Revolutionär, nicht der eines Widersachers des Parlamentarismus, der zum Befürworter der Demokratie wurde. Oertzen stahl sich den Rest des Lebens, in dem er Demokrat hätte werden können. Er starb, als der autoritäre Dünkel des Adels in ihm verbraucht war. Der biographische Bericht und die ausgewählten, mit dem Bericht korrespondierenden Tagebuchtexte haben eine vergleichbare Art des Darstellens. So persönlich die vermittelte Lebenszeit bleibt, sie erstickt nicht im Privaten, weil sie eine Zeit des Lebens in Deutschland mit hohem Verallgemeinerungsgrad präsentiert.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 9/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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