Eine Rezension von Henry Jonas


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Ein Bekenntnis- und Erinnerungsbuch

 

Armin Stolper: Wir haben in der DDR ein ganz schönes Theater gemacht

Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1999, 256 S.

 

Es war nicht alles schlecht, was die DDR hervorgebracht hat, und ihr Theater gehörte nach allgemeiner Meinung der Fachleute in aller Welt zum Besten, was auf ihrem Mist gewachsen ist. Sie hat es ernst genommen. So hat sie es zwar öfter drangsaliert, wenn es sich der Staatsräson allzu offensichtlich zu entziehen suchte, aber sie hat es auch gehegt und gepflegt. Kreativität konnte sich entwickeln, weil Abstriche am Budget unbekannt waren, und sogar die kleinsten Städte kämpften wie die Löwen um den Erhalt ihres Dreispartentheaters, auch als sich herausstellte, daß die Musik- und Ballettschulen mit der Nachwuchsausbildung nicht nachkamen. Und weil die Schauspielschulen so ungemein schöpferisch waren im Aufspüren und Entwickeln von Talenten, konnte man mitunter gutes Theater sogar auf kleinen Bühnen sehen. Und das DDR-Theater hatte seine Zuschauer und seinen Platz im Leben...

Irgendwann gehört das mal ehrlich bilanziert und aufgeschrieben. (So, wie das die DEFA-Leute schon 1993 im Filmbereich geschafft haben mit dem Buch Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg/Henschelverlag.) Denn: Der Kalte Krieg liegt zwar historisch weit hinter uns, mit seinen Kunstverdikten haben wir es aber immer noch zu tun. Natürlich konnte sich die DDR keiner „autonomen“ Kunst von unbegrenzter Freigeistigkeit rühmen. Rechtfertigt das aber undifferenzierte Urteile, die die Kunst der DDR wegen ihrer Förderung durch das Regime als „Staatskunst“ oder Schlimmeres diffamieren?

Nein, eine historisch redliche Auseinandersetzung haben wir noch vor uns, und der Titel von Stolpers Buch verleitete den Rezensenten zu der Annahme, hier werde ein Beitrag dazu geleistet. Stolper war immerhin als Dramaturg an einem kleinen, einem mittleren und einem großen Theater tätig und hat danach als Dramatiker im Zusammenhang mit der Inszenierung seiner Stücke bei vielen Bühnen Einblick gewonnen, schätzungsweise 33 Jahre war er wohl dabei.

Aber ach, es ist nur ein Erinnerungsbuch geworden im engeren Sinne: liebevolle Notizen über gemeinsame Erlebnisse mit Schauspielerkollegen, die den Weg gekreuzt oder eine Weile mit beschritten haben - Peter Dommisch und Klaus Piontek, inzwischen verstorben, Kurt Böwe, Ursula Werner, Uwe-Detlev Jessen, Roman Silberstein, Alfred Müller, Marga Legal, Martin Trettau, die noch leben, wenngleich unterschiedlich. Die einen haben das Genre gewechselt (Jessen zum Ohnsorg-Theater, Müller zum Musical), bei manchen anderen ist vermerkt: „als Ost-Mimen ins Abseits gestellt“ oder „mangelndes Ellenbogenbewußtsein besiegelte seine/ihre Karriere“. Auch des verstorbenen Komponisten Reiner Bredemeyer, Jahrzehnte am Deutschen Theater für die Bühnenmusik zuständig, wird gedacht. Anekdoten werden berichtet, Haltungen umrissen, Meinungen referiert, alles bleibt im ganz Persönlichen, das ist der Reiz; ein umfassendes Porträt mit Beschreibung der darstellerischen Arbeit und Leistung ist nirgends angepeilt. Warmherzige Zeugnisse langjähriger Freundschaften.

Wohl ein Drittel des Buches wohl ist den Intendanten des Deutschen Theaters gewidmet. Mit Hilpert hatte der Autor nur eine Kurzbegegnung in Göttingen, die Erinnerung lebt bei einem Besuch am Grabe auf. Das ergibt nicht viel, die Anekdote mit Sauerbruch wurde schon in einem anderen Buch erzählt. Recherchieren ist Stolpers Sache nicht, Inge Keller zum Beispiel hätte ihm nämlich viel über Hilperts Regie bei „Drei Schwestern“ am DT (1958) erzählen können. Zwei Intendanten werden nur genannt (Perten, Rohmer), die vier anderen, mit denen Stolper gearbeitet hat, ausführlicher beschrieben. Bei Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz wird schöne Plastizität erreicht, vielleicht weil der Autor nur punktuell mit ihnen zu tun hatte, sie mehr „von außen“ sah. Gerhard Wolfram und Dieter Mann bleiben blasser, hier wird der Essay auch stellenweise zum Rechenschaftsbericht, vielleicht weil Stolper an diesen Etappen selbst weitgehend beteiligt war. Eingestreute Anekdoten lockern den Text vor allem anfangs auf, leider werden nicht alle und nicht einmal die besten genutzt.

Das letzte Drittel des Buches ist Reminiszenzen des Dramatikers Stolper vorbehalten. Eine Inszenierung in Prag, ein Kolloquium in Irland, eine Tagung in der Kleist-Stadt Frankfurt/O. sind Anlaß, über das Verfassen und die Wirkung von dramatischen Texten nachzudenken und das Schicksal des Stückeschreibers, der Absetzungen und Verbote erlebt hat, zu bedenken. Er habe aber den Streit mit den Behörden aushalten können, „solange es Theater in der DDR gab, die mich spielten“.

Und dann wird aus dem Erinnerungsbuch ein Bekenntnisbuch. Nein, die DDR sieht er nicht rosenrot, sondern wahrhaft kritisch, aber die Revolte gegen das Unzulängliche, die 1989 aufgebrochen sei, die sei nicht nach vorne losgegangen, sondern im geschichtlichen Gestern gelandet. Die Pfarrer seien zu Ministern geworden und wollten nun partout nicht mehr die Schwerter zu Pflugscharen umschmieden, und alle echten Errungenschaften seien den Bach hinuntergegangen. Theater würden sogar in Großstädten geschlossen, das Budget von Bibliotheken und Museen werde gekappt, und wohin man sehe, nage die Kunst am Hungertuch. Er aber, Stolper, wolle sich nicht ändern: „Ich bin ein Roter, der Jesus seinen Bruder nennt, und der die Farbe Grün bevorzugt, und das Theater liebe ich in der Gestalt, wie es die Altmeister beschrieben haben: als Menschenhaus. Mein neuer Standpunkt also ist der alte.“

„Skeptisch hoffnungsvoll“ ist das nun kaum mehr, die persönliche Lage mag dem Autor Anlaß gewesen sein, am Ende eher pessimistisch zuzuspitzen, aber für die Aufarbeitung seiner Erinnerungen gebührt ihm wohl Dank. So schließt der Rezensent versöhnt: D a s Buch über das DDR-Theater wird wohl so leicht nicht zu schreiben sein, bis dahin sollten wir uns mit solchen ganz subjektiven und sektoralen Reminiszenzen trösten, ergibt sich vielleicht eines Tages doch aus vielen einzelnen Spots ein ganzes Bild.

Den Verlag dagegen mag ich nicht durchgängig loben. Der Autor hätte einen Lektor gebraucht, der ihm hilft, Nebensächliches von Wichtigem zu trennen, und der auf Stellen hätte hinweisen können, die für Nicht-Insider unentschlüsselbar bleiben müssen. Vor allem hätte es eines Korrektors bedurft, der Sicherheit in die Zeichensetzung bringt und falschen Sprachgebrauch korrigiert. Druckfehler und Auslassungen nehmen stellenweise geradezu groteske Ausmaße an.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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