Eine Rezension von Frank Schroeder


„Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bißchen Glück ...“

Uwe Klöckner-Draga: Wirf weg, damit du nicht verlierst
Lilian Harvey - Biographie eines Filmstars.

QUINTESSENZ Verlag, edition q, Berlin 1999, 416 S.

 

Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bißchen Glück, und ich träum’ davon in jedem Augenblick. Ein kleines bißchen Glück - das wünschte sich Lilian Harvey nicht nur im UFA-Film „Ein blonder Traum“, sondern auch im Privaten. Doch die Harvey, die auf der Leinwand gemeinsam mit Willy Fritsch das Traumpaar der Nation verkörperte, die als das süßeste Mädel der Welt galt und vom Publikum vergöttert wurde, hatte wenige wirklich glückliche Momente in ihrem Leben. Und wenn, dann war das Glück nicht von langer Dauer. Uwe Klöckner-Draga, der als Schauspieler und Regisseur in Berlin und Paris lebt, zeichnete anhand von Archivdokumenten, Lebenszeugnissen der Harvey, Äußerungen ihrer Freunde und Kollegen sowie aus eigenem Erinnern ein sehr intimes und fundiertes Porträt des einstigen Filmstars.

Beginnend mit dem ersten Kapitel Herkunft und Kindheit, legte der Autor einen spannenden Text vor, der teilweise ein völlig neues Licht auf das Leben der Harvey wirft. Lilians Mutter, aus gutbürgerlichem Haus, war Londonerin. Sie war verheiratet mit dem deutschen Schuhfabrikanten Bruno Pape, und beide hatten bereits zwei Kinder. Dieser Bruno Pape hatte zwar die britische Staatsbürgerschaft angenommen, aber die Verbindungen zur Heimat erhielt er dennoch aufrecht. Er hatte zum Beispiel einen Freund aus der früheren Militärzeit, Heinrich Klöckner, der war ebenfalls verheiratet, wohnhaft in Berlin und besuchte seinen alten Freund jährlich in London. Bei einem dieser Besuche passierte es: Ein Seitensprung mit Folgen. Bruno Pape hat seiner Frau den Fehltritt nie verziehen. Noch dazu, da das Kind, das er aus gesellschaftlicher Rücksichtnahme adoptierte, seinem leiblichen Vater sehr ähnlich sah. Zeitlebens hat der Adoptivvater das Kind nicht beachtet. - Die Lieblingsblume der Mutter war das Maiglöckchen, in englisch: Lily of the valley. So wollte sie ihr uneheliches Kind nennen: Lilian.

Uwe Klöckner-Dragas Text beschreibt nicht nur die Entstehungsgeschichten der 37 Filme Lilian Harveys, die teilweise in deutsch, englisch und französisch gedreht wurden, sondern besonders intensiv die Ereignisse jenseits des öffentlichen Glamours. Am Anfang stehen die Kindheit in London und die Übersiedlung nach Berlin sowie die wenig bekannten Jahre als Tänzerin und Schauspielerin auf diversen Revuebühnen. Schließlich die großen Berliner Filmjahre bei der UFA mit Willy Fritsch als wichtigstem Partner und mit den weltweit erfolgreichen Filmoperetten „Die drei von der Tankstelle“, „Der Kongreß tanzt“ und „Ein blonder Traum“.

Nach zwei erfolgreichen und ausführlich dokumentierten Jahren in Hollywood kehrte Lilian Harvey 1935 noch einmal nach Deutschland zurück, dies insbesondere wegen ihrer Liebe zum bereits verheirateten Regisseur Paul Martin. Er, für den die Harvey sogar einen Heiratsantrag von Gary Cooper ablehnte, verdankte seine Karriere hauptsächlich Lilian Harvey, nach seiner Scheidung jedoch heiratete er nicht sie, sondern eine Vertragsschauspielerin der UFA. Von diesem Schicksalsschlag hat sich Lilian Harvey nie richtig erholt, er markierte zugleich einen beruflichen Wendepunkt.

Ihre Filmarbeit bei der UFA wurde zusehends erschwert und ab 1939 endgültig beendet, da sie sich durch das Eintreten für verfolgte Kollegen und mißliebige Äußerungen gegenüber dem Naziregime verdächtig gemacht hatte. Als unerwünschte Person wurde sie von der Gestapo beobachtet, bis sie schließlich kurz vor der geplanten Verhaftung und Deportation ins Exil floh. Zunächst leistete sie in Frankreich karitative Arbeit, was ihr den Beinamen Engel von Antibes einbrachte, schließlich ließ sie sich - nach ihrer Emigration in die USA - als Krankenschwester ausbilden und arbeitete zwei Jahre als Rotkreuzschwester in L.A. Alle Versuche, in Hollywood wieder Fuß zu fassen, waren gescheitert. Lediglich als Bühnenschauspielerin verbuchte Lilian Harvey einige Erfolge.

Auch nach ihrer Rückkehr nach Europa 1946 vermochte sie nicht, an den einstigen Ruhm anzuknüpfen. Es gab viele neue Regisseure, junge Schauspielerinnen, und auch der Film selbst hatte sich im Laufe der Zeit verändert, man verlangte nach neuen Künstlern und nach neuen Darstellungsformen. Lilian Harvey war bereits jenseits der 40 und in einem großen Dilemma: Zum einen pflegte sie zwar das Image des süßesten Mädels der Welt, gern berief sie sich auf ihre frühen Filmerfolge, doch um die junge naive Liebhaberin zu geben, die dann doch immer den richtigen bekommt, war sie schon zu alt, außerdem wollte sie, gereift wie sie war, solche Rollen nicht mehr spielen. Und für das Spielen der Mutterrollen war sie noch zu jung. Das wichtigste aber: Lilian Harvey mißlang die innere Trennung vom eigenen Mythos. Folgen waren u. a. Depressionen, Krankheiten, Alkoholprobleme, sie versuchte sich als Schneckenzüchterin, eröffnete eine eigene Modeboutique.

Zwischenzeitlich, aber nur kurz, schien es, als kehre das private Glück doch noch bei Lilian Harvey ein. 1952 lernte sie den dänischen Künstleragenten Hartwig Valeur Larsen kennen. Wenige Wochen später wurde (in offensichtlicher Torschlußpanik) die Verlobung gefeiert, kurz darauf die Hochzeit. Doch schon am nächsten Tag meldeten sich die Gläubiger Valeurs bei Lilian. Sie zahlte, während er das restliche Geld der Harvey mit Freundinnen in Spielkasinos durchbrachte. Wenn er besoffen war, und das war er öfter, schlug er zu. Er brach Lilian Harvey zwei Rippen, einmal warf er eine Holzjalousie nach ihr, von der sie schwer verletzt wurde. Erst 1955 schaffte es Lilien Harvey, sich noch einmal aufzuraffen. Sie verkaufte ein Stück ihres Landes und reichte die Scheidung ein, ehe sie, einsam und schwerkrank, 1968 in einer Klinik an der Cote d’Azur an den Folgen einer verschleppten Gelbsucht starb.

Selten hat man in den vergangenen Jahren die Biographie eines Filmstars gelesen, die so in die Tiefe ging wie die Uwe Klöckner-Dragas über Lilian Harvey. Spannend und kompetent schildert der Autor ihre bewegte Existenz, immer wieder begab er sich auch an die Schauplätze ihres Lebens. Zu den besonders bewegenden Momenten der Biographie zählt nicht zuletzt die Schilderung über seinen Besuch im ungarischen Tetétlen - Gut und Schloß hatte Lilian Harvey 1936 in der Hoffnung gekauft, daß sie dort später mit Paul Martin, der Deutschungar war, leben und Pferde züchten könnte. Nach ihrer Flucht aus Deutschland war es Lilian Harey bis zum Tode nicht mehr gelungen, Tetétlen wiederzusehen, das kommunistische Ungarn verweigerte der Großgrundbesitzerin die Einreise. Klöckner-Draga war der erste aus der Familie, dem seit Kriegsende wieder ein Besuch gelang. Das Gut war enteignet worden, Möbel und sonstige Wertsachen waren komplett verschwunden. Zunächst hatten sich die ungarischen Nazis, dann die Russen bedient. Von den 28 ausgeplünderten Räumen fand Klöckner-Draga gerade noch sechs vor. Aus dem blühenden Schloßpark sind Wiese und Feld geworden.

Uwe Klöckner-Draga veranschaulicht - und das ist sein großer Verdienst - in dieser Biographie weniger den Mythos als den Menschen Lilian Harvey. Daß dies in vorbildlicher Weise gelang, daß er sich überhaupt so detailreich und über fünf Recherchejahre hinweg mit dem Filmstar beschäftigte, liegt nicht zuletzt daran, daß er der Urenkel des leiblichen Vaters der Harvey ist.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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