Eine Rezension von Volker Strebel


Eine Höllenmaschine der zeitlosen Art

Karel Klostermann: Der Herr Professor

Aus dem Tschechischen von Gerold Dvorak.

Verlag Karl Stutz, Passau 1999, 235 S.

 

Dem kleinen Passauer Verlag Karl Stutz gebührt das Verdienst, sich des vergessenen Böhmerwaldschriftstellers angenommen zu haben. In Tschechien zählt Karel Klostermann, 1848-1923, zu den unbestrittenen Klassikern. Dabei war Klostermann von deutscher Abstammung. Sonderbarerweise hatten zu Klostermanns Lebzeiten seine Bücher in Böhmen beim tschechisch lesenden Publikum zu weit eindrucksvolleren Erfolgen geführt als bei den deutschen Landsleuten. Für 5 von seinen 14 Romanen hatte er sogar den begehrten Preis der Tschechischen Akademie erhalten. Da Klostermann das Tschechische wie eine zweite Muttersprache beherrschte, schrieb er die meisten seiner Werke fortan in tschechischer Sprache. Den zunehmenden Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen infolge einseitig aufgefaßter Ideologien nationaler Identitäten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts widersetzte sich Klostermann auf seine Art: „Mir stehen politische Tendenzen fern, meine Leser werden mich aber überall dort finden, wo es gilt, in diesen bewegten Zeiten, wo unselige Verhältnisse getrennt haben, was lange vereinigt war, ein Wort des Friedens zu sprechen.“

Karel Klostermann wird im tschechischen Sprachraum als der „Dichter des Böhmerwaldes“ bezeichnet. Wie kein anderer hat der Schriftsteller in seinen Romanen und Erzählungen den Böhmerwald und dessen Bewohner beschrieben. Da es heutzutage keinen deutsch besiedelten Böhmerwald mehr gibt - Klostermanns Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben hat sich nicht erfüllt -, erhält sein Werk einen zusätzlichen Wert als zeitgeschichtliche und volkskundliche Quelle.

Der vorliegende Roman Der Herr Professor beschreibt das Schicksal des jungen Professors Jan Chlumák in einem nicht näher bekannten Ort, den man als die alte Goldbergstadt Bergreichenstein/Kasperké Hory identifizieren kann. Der junge Herr Professor wird als Junglehrer für die „sogenannte unselbständige Realschule“ in dem kleinen Örtchen im Herzen des Böhmerwaldes erwartet. Gleich nach seiner Ankunft gerät er in die Hände jener Frau Touschek, die sich ihm als Bürgermeistersgattin und Quartierbesorgerin vorstellt. Die Touscheks haben eine Metzgerei, ein großes Anwesen und vor allem zwei unverheiratete Töchter.

Wer jemals in einer ähnlichen Situation war, wird die atmosphärische Dichte der Erzählung und die unerbittliche Beobachtungsgabe Klostermanns zu würdigen wissen. Frau Touscheks Freundlichkeit wandelt sich bald zu einem bedrückenden Alptraum. Der junge, gebildete Herr Professor Chlumák gerät bald unter Druck. Da ihn die offensichtliche Kulturlosigkeit jener Frau Touschek herausfordert, zumal sie sich mit einem geschmacklosen Dünkel paart, läßt er sich auf deren Spekulation über seine Herkunft ein. Ihm bereitet es Vergnügen zu beobachten, daß jedes seiner Worte für bare Münze genommen wird. Eher im Scherz versteigt sich Herr Chlumák dazu, Frau Touscheks Vermutungen über den sagenhaften Reichtum seiner Mutter zu bestätigen. Mit Entsetzen jedoch verfolgt er, wie sich diese falsche Angabe mit Windeseile im ganzen Städtchen verbreitet. Der Herr Professor sitzt in der Falle. Gerade neu angekommen, fürchtet er sich davor, die Wahrheit über seine ärmlichen Familienverhältnisse preiszugeben und damit das gerade gewonnene Vertrauen wieder zu verlieren. Eine quälende Eigendynamik drängt den jungen Professor in die gesellschaft-liche Isolation. Erst im Sohn des hinzugezogenen Arztes, einem jungen Studenten, vermag der Professor einen vertrauenswürdigen und ebenbürtigen Gesprächspartner zu finden. Doch der Student ist nur für kurze Zeit im Ort.

Der graue Alltag beginnt Professor Chlumák wieder zu erdrücken.

Kompositionstechnisch gut gemacht wird das Verlöschen des Professors Chlumák indirekt beschrieben. Der Student erhält in der Fremde Nachrichten von seinen Eltern über die Wandlung des Herrn Professors, der zusehends dem Alkohol verfällt. Erst am Ende des Romans offenbart sich der Erzähler als der ehemalige junge Student, und tatsächlich war Karel Klostermann der Sohn eines Arztes, der nach Bergreichenstein zugezogen war.

Karel Klostermann ist nicht nur ein Porträt seines verehrten Freundes Jan Chlumák gelungen, sondern zugleich die Darstellung der Höllenmaschine spießiger Beengtheit. Und diese ist von der zeitlosen Art.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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