Eine Rezension von Helmut Hirsch


Die Frau des Dichters

Sigrid Damm: Christiane und Goethe
Eine Recherche.

Insel Verlag, Frankfurt/M. und Leipzig 1998, 541 S.

 

Am 28. August 1999 wird in Weimar und weit darüber hinaus der 250. Geburtstag Goethes gefeiert. Weimar ist bereits europäische Kulturhauptstadt seit dem ersten Januar, die Verlage drucken Werkausgaben zu niedrigen Preisen und füllen die noch nicht leer gewordenen Fontane-Regale mit Goethe nach. Wer schon im Herbst 1998 an der Ilm entlangwanderte, bestaunte ein großes blaues Paket, in dem nicht die Blume der Romantik, sondern eine Kopie von Goethes Gartenhaus schlummert. Unentwegt ehren die Deutschen ihre Dichter, doch werden sie auch noch gelesen? Eine Frage, die weiterhin offenbleibt. Goethe lesen ist kein leichtes Ding. Er hatte ja so viele Seiten, und wenn man nicht die Gedichte, nicht die Dramen und auch nicht die Romane lesen möchte, dann lohnt vielleicht der Blick in die Tagebücher oder in die Briefe. Hier wird der Leser auch auf ganz andere Momente eines Klassikers stoßen. Auf erlebten Alltag und Unmut mit Beamten oder Kollegen. Wer nun aber gar wissen will, wer Christiane war, also Goethes Geliebte und Frau, dem sei hier das Buch von Sigrid Damm, Christiane und Goethe empfohlen.

Die Autorin kennt sich gut aus. Sie hat bereits in den achtziger Jahren eine Lenz-Biographie und wenig später ein Buch über Goethes Schwester Cornelia geschrieben. Es ist gut, gerade im Goethe-Jahr an Goethes Frau zu erinnern. Denn kaum eine Frau ist zu Lebzeiten so geschmäht worden wie Christiane. Sigrid Damm zählt sie alle noch einmal auf. Wieland nannte sie Goethes Magd, Charlotte von Schiller gar „ein rundes Nichts“, Bettina von Arnim (war sie so märchenhaft von Sinnen?) „eine Blutwurst“. Romain Rolland war Christiane „eine geistige Null“, und Thomas Mann, der Feine, sah in ihr „ein schönes Stück Fleisch, gründlich ungebildet“.

Über ein Vierteljahrhundert hat Christiane mit Goethe zusammengelebt. Für ihn war sie seine „liebe Kleine“, sein „Haus- und Küchenschatz“, seine „vieljährige Freundin“. Daß Liebe im Spiel war, hat Goethe nicht oft, aber dennoch eingestanden. Was die hochnäsigen Zeitgenossen und Nachfolgenden am Bild dieser Frau gestört hat, war ihre sinnliche und lebendige Art. Wohl auch ihr Sinn für viele praktische Dinge im Alltag. Sigrid Damm hat eine gründliche Recherche geleistet. In Haushaltbüchern, Rechnungen und vielen verstreuten Zetteln, die in den Archiven lagern, hat sie Spuren dieses vielseitigen und begabten Lebens entdeckt. Eine Frau, „die ständig überfordert ist, weil sie eine Rolle spielen muß, für die niemand ihr den Text vorgibt; und dennoch hat sie Tag für Tag die Bühne zu betreten, für die sie nicht geschaffen ist“.

Sigrid Damm sieht den tiefen Widerspruch zwischen den Selbstzeugnissen Christianes und dem Urteil der Mit- und Nachwelt. Es ist dies der Widerspruch des deutschen Bildungsbürgertums, die vermaledeite Zwickmühle von Alltag und Illusion.

Da dieses Buch Christiane und Goethe heißt, folgt die Autorin auch von Anfang an den Spuren beider. In einer Paralleldarstellung zeichnet sie den allmählichen Weg beider aufeinander zu. Was es bisher noch nicht gab, hier kann man es minutiös verfolgen, die Familiengeschichte der Christiane Vulpius. Die Mär vom unbedarften Luder wird gründlich widerlegt. Als Goethe im November 1775 in Weimar ankommt, ist sie gerade zehn. Jahre später sehen wir sie die Fäden im Haus am Frauenplan in der Hand halten, kümmert sie sich um Rechnungen und Handwerker, überblickt Miet- und Kostgeld, vermittelt zwischen Dienern und Köchinnen. Was Literatur und Kunst betrifft, blieb sie eher abseits. Sie glaubte, daß das Schreiben Goethe aufrieb, doch es waren die Ablenkungen, die ihn aufrieben. Im letzten erhaltenen Brief an Christiane schreibt Goethe im September 1815: „Wenn man zu Hause den Menschen so vieles nachsähe, als man auswärts thut, man könnte einen Himmel um sich verbreiten.“ Das klingt wie ein Eingeständnis ungelebten Lebens, ein Thema, wozu Sigrid Damm viele Einzelheiten beisteuert. Gewißheiten beurteilt die Autorin manchmal mit einer Frage: „Hat sich Christiane, lebensklug, erfahren und nachsichtig, damit abgefunden, daß sich ihre Gemeinsamkeit auf wenige Dinge im Alltag beschränkt?“ Im Alter überwiegt das Nebeneinander. Als Christiane stirbt, zieht sich Goethe, der schon der Todkranken auswich, zurück. Er kann sein Grauen auch nicht vor Christiane verbergen, für einen „Olympier“ gewiß ein fragliches Verhalten. Aber das war Goethe, und er war nicht der allzeit umsorgende Mann gegenüber seiner Frau. Er war, meint Sigrid Damm, in allen Lebensbereichen einem „Pflichtgebot zu- und untergeordnet“, dazu „Sein Werk, das seine Einsamkeit fordert und auf andere Weise Christianes Einsamkeit bedingt“. Was die Frau des Dichters betrifft, blieb ein reiches Leben außerhalb der Poesie, die Geschichte ihres Zusammenlebens hat Goethe nicht erzählt: „Er liefert sein Privatleben, sein Intimstes, nicht dem Publikum aus.“ Das ist nicht das Schlechteste, was es über ihn zu berichten gibt. Und in ihrer Nachbemerkung notiert Sigrid Damm verständnisvoll: „Auf dem Hintergrund dieses gemeinsam und getrennt gelebten Alltags erwuchs letztlich Goethes Werk ... Christianes Anteil daran ist nur über den gelebten Alltag zu erahnen.“ Ein Buch, das erzählerisch und dennoch authentisch diesen Anteil kenntnisreich beschreibt, ist gerade im Goethe-Jahr 1999 eine wichtige Entdeckung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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