Eine Rezension von Daniela Ziegler


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„zeile für zeile lies mit weile ...“

 

Christa Jansohn (Hrsg.): Das Buch zum Buch

Reclam Verlag Leipzig, Leipzig 1998, 260 S.

 

In einer Zeit, in der die Aufhebung der Buchpreisbindung droht und kleine Verlage und Buchhandlungen in Existenznöten sind, muß fürs Lesen geworben werden. Die Bezirksbüchereien Berlins verkaufen Büchertaschen mit der Aufschrift: „Wer liest, steckt alle in die Tasche“. Und auf Plakaten, die oft in Schulnähe zu finden sind, heißt es: „Verblüffe deine Eltern! Lies ein Buch!“

Die beste Werbung ist immer noch das Buch selbst. Zum Beispiel Das Buch zum Buch, in dem in einer klugen Auswahl von Textpassagen verschiedene Aspekte des Lebens behandelt werden: Wer liest wann, wo und warum? Erste Leseerlebnisse. Lesen - Sucht? Leidenschaft? Kenntnisvermittlung? Oder notwendiges Übel? Feind des Buches. Der verwandelte Zeitbegriff während des Lesens. Und: ein eigener Abschnitt über die kostengünstigen Reclambändchen, die leicht in Gesäßtasche oder ins Handtäschchen passen und vom schmalen Schülerbudget leicht zu finanzieren sind. Ein Selbstlob des Verlages, das erlaubt und angebracht ist.

Was ist eigentlich Lesen?

Lesen ist wie Essen: Ein anregendes Buch - eine den Appetit reizende Speise, meint Marie von Ebner-Eschenbach. (S. 161) Und Walter Benjamin: Romane zum Beispiel sind dazu da, verschlungen zu werden. Sie lesen ist eine Wollust der Einverleibung ... (S. 168)

Lesen ist wie Liebe: Erst wollte ich die Vorlust auskosten, daß ich ein Buch bei mir hatte, die künstlich verzögernde und meine Nerven wunderbar erregende Lust ..., schreibt Stefan Zweig in der „Schachnovelle“. (S. 51) Und Karl Wolfskehl (S. 166) schwärmt:

„Zärter noch als Mädchenwangen
Streichl ich ein geliebtes Buch,
Atme bebend vor Verlangen
Echten Pergamentgeruch.“

Auch andere körperliche Funktionen sind mit dem Lesen vergleichbar: ... (der Leser) würde an dem vielen Zeug, das er zu sich nimmt, ersticken, wäre nicht das Vergessen, dieser segensvolle Schlußeffekt aller Hirnperistaltik, lehrt uns Alfred Polgar. (S. 169)

Ob Liebe oder Essen, Lesen ist unbestritten eine Leidenschaft: Diejenigen, die davon befallen werden, können sie nicht erklären, und diejenigen, die nichts dergleichen je erlebt haben, können sie nicht begreifen, sagt Michael Ende. (S. 54)

Lesen ist gar eine Sucht, wie Aldous Huxley und Peter Suhrkamp meinen: Wie die Rauschgiftsüchtigen, die zwanghaft immer neue Opfer verführen müssen, führen uns unsere Lehrer in die Sucht nach Gedrucktem. Wir widerstehen zunächst, um nach und nach der Sucht zu verfallen. Ein Leben ohne die Wortdroge ist uns schließlich ganz unvorstellbar. Wir sind zu Sklaven unseres Lasters geworden. (Aldous Huxley, S. 58)

„... Lesen ist Gewohnheit. Und diese Gewohnheit kann, wie das Rauchen, zur Süchtigkeit anwachsen. Der so Geplagte muß in jedem unbeschäftigten Augenblick, wo er auch immer sein mag, lesen.“ (Peter Suhrkamp, S. 29)

Allerdings auch eine rettende Zuflucht: In meinem chaotischen Elternhaus lernte ich schon früh, daß ein Buch, das man sich zu gegebener Zeit vors Gesicht hält, als kugelsichere Weste, als Asbestschild, als Tarnkappe dienen kann ... Ich las. Ich schrieb. Ich war in Sicherheit. (Erica Jong, S. 126)

Etwas zwanghaft, aber pragmatisch versteht Arno Schmidt das Lesen als selbstauferlegte Bildungsarbeit: ... Selbst wenn Sie ein Bücherfresser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch zweimal zu lesen, schaffen Sie im Jahre nur 70. Und für die fünfundvierzig Jahre, von Fünfzehn bis Sechzig, die man aufnahmefähig ist, ergibt das 3.150 Bände: die wollen sorgfältig ausgewählt sein. (S. 45)

Welches ist der richtige Ort und der richtige Zeitpunkt zum Lesen? Offenbar macht das Krankenlager für Lektüre so richtig empfänglich: Häufige Krankheit war mein Weg in die Bücherwelt, die mir das vielzitierte richtige Leben monatelang ersetzen mußte, erzählt Friedrich Prinz. (S. 105)

Büchereien, Lesehallen und Bibliotheken sind magische Orte, die die Menschen sichtlich verändern: Ach, wie gut ist es doch, unter lesenden Menschen zu sein. Warum sind sie nicht immer so?, meint Rainer Maria Rilke sehnsüchtig. (S. 186)

Ungerührt von allen Wenns und Abers, Gebrauchsanweisungen, Warnungen, Lobeshymnen und Liebeserklärungen empfiehlt Karl Riha (S. 33) gelassen 17 Zeilen lang: zeile für zeile lies mit weile ...

Beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses, einer literarischen Speisekarte, läuft einem das Wasser im Munde zusammen! Ob man wohl alte Bekannte treffen wird? Man wird sich überraschen lassen müssen, denn Aufschluß über die Urheber gibt das Inhaltsverzeichnis erfreulicherweise nicht. So wird die Lektüre des Buches zum Buch außerdem zum anspruchsvollen Ratespiel.

Wer zwischen Ernst und Heiterkeit einen netten Abend unterhaltsam und appetitanregend verbringen möchte, dem sei das Buch zum Buch empfohlen - ein stiller Spaß mit alten und neu zu gewinnenden Bekannten.

Halt! Da es bei Büchern ja auch um Geld geht, zum Schluß noch eine ganz besonders schöne „Marktanalyse“:

„Der Kunde zur Gemüsefrau: „Was lesen Sie denn da, meine Liebe? Ein Buch von Ernst Jünger?“ Die Gemüsefrau zum Kunden: „Nein, ein Buch von Gottfried Benn. Jüngers kristallinische Luzidität ist mir etwas zu prätentiös. Benns zerebrale Magie gibt mir mehr.“ (Erich Kästner, S. 126)


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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