Eine Rezension von Manfred Lemaire


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Handlung zwischen zwei Mordpolen

 

Frances Fyfield: Blind date
Roman.
Aus dem Englischen von Pociao und Roberto de Hollanda.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1999, 350 S.

 

„Die Hände flatterten, als seien sie verloren ohne Zigarette, an die sie sich klammern konnten.“ Und: „Es war ein herrlich stilles Haus, das beim Einschlafen wohlig ächzte. Das unsichtbare Meer murmelte in der Ferne.“ Das ist anständige, gute Literatur. Frances Fyfield beherrscht ihre Sprache, und die Übersetzer sind damit offenbar behutsam umgegangen. Keine schiefen Bilder, keine abgeschmackten Sentenzen. Vielleicht hat die juristische Ausbildung - die Autorin arbeitet als Anwältin in London - auch in diesem Fall dem Ausdrucksvermögen nicht geschadet, eher wohl das Gefühl für exakte Aussagen und sauberen Stil verstärkt, dabei die Poesie der Sprache nicht getötet, sondern sie vor Überschwang bewahrt. Man kennt das - E. T. A. Hoffmann war Kammergerichtsrat, Goethe war zum Lizenziaten der Rechte promoviert, John Grisham war Anwalt, wenngleich es unpassend sein könnte, ihn neben zwei so Großen als lebenden Beweis für vorstehende These zu nennen.

Inzwischen jedenfalls hat sich die (noch) praktizierende Juristin einen guten Platz unter der ernsthaften englischen Autorenschaft erschrieben, darüber hinaus auch im angelsächsischen Sprachraum. Dem deutschen Publikum dürfte sie bereits mit ihrem ersten bei Hoffmann und Campe herausgekommenen Buch Tiefer Schlaf (1991) angenehm aufgefallen sein. Es folgten vier weitere Romane im selben deutschen Verlag. Dieser nun macht das halbe Dutzend komplett. Alle anderthalb Jahre ein neues Werk - da kommt zum Talent der Fleiß.

Der Titel, Blind date wie das englische Original, bezieht sich auf Vorgänge, die in der Dramaturgie des Buches einen wichtigen Platz einnehmen. Gemeint sind jene blinden Verabredungen, wie sie von Leuten getroffen werden, die sich an eine Heiratsvermittlung gewandt haben und vor dem ersten Rendezvous mit dem möglichen Partner dessen Profil lediglich vom Papier kennen. Blinde Verabredungen werden denn auch mehreren jungen Frauen zum Verhängnis.

Zunächst aber ereignen sich Attentate auf zwei Schwestern, das erste mit Todesfolge, das zweite - mit Säure ausgeführt - entstellt die Frau, die als Londoner Polizistin dabei war, den äußerst brutalen Mord an ihrer Schwester aufzuklären, freilich ohne Erfolg. Täter und Motiv bleiben im dunkeln. Äußerlich schwer gezeichnet, psychisch nicht minder angeschlagen, hat sie den Polizeidienst quittiert, bleibt aber sich selbst im Wort, Klarheit über den Tod der Schwester zu schaffen und so auch der latenten Bedrohung des eigenen Lebens zu entgehen, einer verborgenen Bedrohung, die sie nur spürt. Bis der Alptraum dann grauenhafte Wirklichkeit wird.

Ein Kriminalroman also? Die Grenzen des Genres sind fließend. In ihrer Heimat ist Fyfield von der Kritik als „beste Krimiautorin“ (Sunday Express) Englands eingeordnet worden. Das Buch ist mehr als ein herkömmlicher Krimi. Man kann es sicherlich auch als eine Gesellschaftsschilderung angenehm versponnener Art ansehen, die mit der Momentaufnahme des Verbrechens an der einen Schwester beginnt und mit einem furiosen Kampf endet, bei dem der Massenmörder zur Strecke gebracht wird, wenn auch einstweilen noch lebend. Er hat nicht nur die eine Schwester ganz und die andere fast auf seinem nicht vorhandenen Gewissen, sondern auch jene jungen Damen, die sich einer bestimmten Heiratsvermittlerin anvertraut hatten.

Zwischen diesen beiden Mordpolen, dem vollendeten Verbrechen zu Anfang des Buches und dem versuchten am Ende, breitet die Autorin ein kleines Kaleidoskop englischen Lebens aus. Diese Vorführung verschiedener Gestalten der Gesellschaft spielt teils an der Küste, teils in der Hauptstadt: eine Rosen züchtende und Zimmer vermietende alte Dame sowie ein verschrobenes Antiquitätenhändler-Ehepaar in einem kleinen Ort am Meer, dann in London einige amüsierfreudige Angestellte beiderlei Geschlechts mit einer diffusen Bereitschaft, vom Amüsement auf eine vielleicht weniger amüsante Ehe umzusteigen, schließlich die meisterhaft skizzierte Heiratsvermittlerin und ihr Sohn.

Die Kunst der Autorin besteht darin, zwischen den beiden handfesten Mordpolen eine belanglos erscheinende Handlung an wechselnden Schauplätzen anzusiedeln, dabei nach und nach, wie zufällig, ein paar lose Enden zu zeigen, die der aufmerksame Leser entdecken und zusammenfügen darf. Dazu muß er etwas Geduld haben, etwas Muße. Frances Fyfield schriebt nicht für eilige Leser. Sie bietet keinen Reißer an, auch wenn der Klappentext des Verlages „fast unerträgliche Spannung“ verspricht.

Die kommt wirklich erst am Ende auf, als der entscheidende Kampf mit dem Mordbuben an einem skurrilen Ort entbrennt, in einem zur mehrstöckigen Wohnung umfunktionierten Kirchturm. Dies nun ist ein echter Thrillerschauplatz, so recht nach englischem Herzen. Ansonsten aber zieht die Autorin den Leser eher behutsam am Handlungsfaden mit und gibt ihm unterwegs immer mal wieder Hinweise auf den möglichen Bösewicht, die man je nach Intelligenz - gleich oder erst ein wenig später versteht. Aus diesem Vorgehen ergeben sich durchaus erträgliche, angenehme Spannungsmomente. Nennen wir sie Neugier, jene schöne menschliche Schwäche, die durch ein gutes Buch erzeugt und befriedigt wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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