Eine Rezension von Gret Hofmann


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Zwei Frauenschicksale

 

Irene Böhme: Die Buchhändlerin

Rowohlt.Berlin Verlag, Berlin 1999, 384 S.

 

Irene Böhmes Roman Die Buchhändlerin ist eher still und unauffällig: Die Heldinnen erleben nichts Ungewöhliches, kaum Höhepunkte, und die Autorin meidet formale Experimente und raffinierte Erzählweisen. Sie verfolgt das Leben zweier Frauen aus verschiedenen Generationen: Gisela, Jahrgang 1900, wird nach kurzer Stippvisite im großen und wilden München, in der heimatlichen Kleinstadt an der Saale die Besitzerin einer Buchhandlung, die ihr Vater - Buchbindermeister - vom beinahe befreundeten Juden kurz vor dessen Ausreise aus Deutschland für seinen Liebling gekauft hat. Sie heiratet einen Mann, auf den sie sich nur in guten Stunden verlassen kann und dem eine Frau nicht reicht. Das macht sie widerstandsfähig und eigensinnig. Während der Nazizeit versteckt sie die alten Landmanns im Keller, und als die ganz neuen, anderen Verhältnisse in Sachsen-Anhalt einziehen, behauptet sie sich mit ihrer Buchhandlung gegen HO und Volksbuchhandel, gegen Versuche, „die Privaten“ zu eliminieren.

Ihr Lehrling Sigrid - 30 Jahre jünger als die Chefin - ist die andere „Heldin“ des Buches. Ihre Kindheit wird von den Entbehrungen und der Unordnung von Kriegs- und Nachkriegszeit bestimmt. Ihre Mutter hat es schwer genug mit zwei Kindern allein in diesen Jahren der Not. Sigrid sieht zu, wo sie für sich etwas abbekommen kann, wähnt sich dabei oft als Pechvogel und will auf alle Fälle unabhängig werden und sein. Weg von der Mutter, später weg von der Chefin Gisela, von der sie sich ausgenutzt fühlt. Im Kreise der Gleichaltrigen kommt sie zur FDJ, sie wird gefördert, und so beginnt ihre kleine Karriere als mittlere Kulturfunktionärin in der DDR. Das Buch endet mit dem Tod Giselas während der Fahrt in den Westen, der sie sich lange verweigert hatte, aber nun lockte der Enkel und „Blut ist ein besonderer Saft“. Sigrid bekommt die „Verdienstmedaille der DDR“, fährt mit ihrem Kollektiv auf einem Schiff zur Mondscheinfahrt: „Aussteigen kann sie nicht. Sie muß abwarten, wo sie landet ... Sigrid fröstelt. Die weiße Flotte schippert durch die märkische Nacht.“

Irene Böhme kennt die Details solcher Leben und - besonders die der Nachkriegszeit - kann sie wunderbar beschreiben. Manches - siehe den zitierten Schluß - ist durchaus hintersinnig in seiner lakonischen Erzählweise, auch Humor fehlt nicht. In ihrer Haltung gegenüber den beiden Frauen bemüht sich die Autorin um Verständnis, was das Buch angenehm frei von Denunziation der DDR-Verhältnisse und Schwarzweißmalerei macht. Dennoch hat sie sich mit ihrer Entscheidung für diese beiden Frauen von Anfang an in eine Schieflage zuungunsten der Jüngeren begeben. Gisela ist 1945 eine reife Frau, sie ist - durch Alter und Herkunft - imstande, kritisch und distanziert den neuen Verhältnissen zu begegnen, gegen die sie sich durchsetzen muß. Und wer kämpft und es schwer hat, ist in der Literatur immer im Vorteil. Bei Sigrid dagegen kann die Autorin noch so viele treffende Milieu- und Zeitdetails einbringen, sie ist alters- und herkunftsmäßig unbedarft, wird zur Mitläuferin und Befürworterin von Verhältnissen, die sich auf Dauer nicht behaupten konnten und die im Nachhinein nur noch absurd, ungerecht und falsch wirken. Sigrid hält den Vergleich mit Gisela nicht aus, und das verkehrt meiner Ansicht nach teilweise die redliche Absicht, zweierlei Leben gleichberechtigt darzustellen.

Ein Buch, das „Ossis“ nachdenklich macht und „Wessis“ viel über das Leben und die Entwicklung in der DDR erzählt.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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