Eine Rezension von Waldtraut Lewin


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Ein schwarzes Boot zum Abschied

 

Louis Begley: Mistlers Abschied
Roman.
Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998, 284 S.

 

Nachdem der in Polen geborene New Yorker Anwalt mit 61 Jahren seinen literarischen Erstling vorlegte, erscheint von ihm Buch um Buch. Lügen in Zeiten des Krieges erschien 1994 und wurde sofort ein Welterfolg. Es folgten Wie Max es sah, Der Mann, der zu spät kam, Schmidt und nun Mistlers Abschied.

Es ist schon erstaunlich. Denn der alternde Mann schreibt zwar unendlich viel, ist aber das Gegenteil von dem, was man unter einem Vielschreiber versteht. Alle seine Bücher sind voll literarischer Anklänge und Zitate, stehen in der Tradition großen Erzählens, sind bei allem Lakonismus der Schreibweise kompositorisch dicht und von großer sprachlicher Schönheit. Es ist, als hätte eine Quelle zu strömen begonnen. Nun ja, auch Fontane war nicht gerade ein Jüngling, als er zu schreiben begann.

Ist Der Mann, der zu spät kam die Geschichte eines Scheiterns, so handelt das großartige Buch Lügen in Zeiten des Krieges vom Überleben durch Negation und Verdrängung, und in Max geht es um Einsamkeit. Mistlers Abschied nun erzählt von einem erfolgverwöhnten und schwerreichen Mann Anfang 60, dem gerade eröffnet worden ist, daß er nur noch kurze Zeit zu leben hat. Krebs.

Ohne Frau und Sohn Bescheid zu sagen, reist er nach Venedig. Venedig und Sterben in Venedig, das ist literarischer Anklang und biographische Aufarbeitung in einem - zumindest hat es der Held des Buches so gewollt. Aber Sterben läßt sich nicht inszenieren, läßt sich nicht managen, wie er das mit seinem Leben gemacht hat: Berufliches und Privates gleich souverän, gleich vom Kalkül gesteuert, effektiv und weltmännisch im Griff. Mistler kann nicht aus seiner Haut. Er ist und bleibt zwar auch hier der Macher, der Planer, der reiche Mann des sicheren Stils - und trotzdem ist in Venedig alles ganz anders. Verwirrend genug, tauchen alte und neue Frauen auf und verschwinden wieder, verhalten sich ganz entgegen dem Kurs, den er selbst in diesen Affären zu steuern versucht. Erinnerungen suchen ihn heim, Erinnerungen, die Leere hinterlassen. Und selbst sein geliebtes Venedig ist nicht mehr das, was es einmal war: Überall scheußliche Billigtouristen, nicht einmal der Portier seines Stamm-(Luxus-)Hotels funktioniert so perfekt wie früher.

Unbeirrt organisiert Mistler weiter sein Ende, bestellt sein Haus, verkauft die Firma, verteilt das Erbe. Und als letztes kauft er sich in der Bootswerkstatt der Dogana, Venedigs altem Arsenal, ein Boot, schwarz wie die Gondeln, schwarz wie der Tod und geformt wie ein Sarg. Kauft und bezahlt. Entrichtet seinen Obolus an Charon. Alles, wie es sein muß. Ein Mistler erschleicht sich die Überfahrt über den Lethefluß nicht.

Von all seinen in sich und ihrer Welt beschlossenen (oder gefangenen) Helden ist Begleys Mistler der hermetischste. Seine Monade ist besonders fensterlos. Er geht seinen Weg zu Ende, so, wie er ihn angetreten hat. Beirrbar, aber nicht irritierbar, unheroisch, nüchtern, effektiv. Ein Sterbender, den zwar seine Kraft, aber nicht sein Wesen verläßt.

Begleys Sprache ist unaufwendig, kennt keine aufgesetzten Verzierungen oder Schnörkel. Ist dabei von einer luziden Zwielichtigkeit, doppeldeutig im Einfachen. Hier überliest man schnell etwas. Begley bedarf - in diesem Buch besonders - des hellhörigen Lesers. Jemandes, der die Untiefen unter der scheinbar glatten Oberfläche aufzuspüren vermag.

Dieser Autor wurde 1933 geboren. Ich bin voller Hoffnung, daß wir noch mit ein paar Büchern rechnen können. Und voller Neugierde. Dem Ton dieser Stimme im Konzert der amerikanischen Literaten - zwischen Mailer, Updike, Roth, Austen - möchte ich gern weiter lauschen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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