Eine Rezension von Eberhard Fromm


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„Memoiren einer Idealistin“

 

Barbara Leisner: „Unabhängig sein ist mein heißester Wunsch“
Malwida von Meysenbug.

Econ & List Taschenbuch Verlag, München 1998, 212 S.

 

Über eine Frau zu schreiben, die eine der bekanntesten deutschen Frauenpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts darstellt, ist sicher für jeden Autor, der sich mit biographischen Arbeiten befaßt, eine Verlockung und Herausforderung zugleich. Denn wer über Malwida von Meysenbug (1816-1903) schreiben will, muß faktisch über das 19. Jahrhundert schreiben: seine internationalen Trends, die deutsche Entwicklung bis zur Zäsur 1848/1849, die zweite Hälfte des Jahrhunderts mit der deutschen Reichsgründung - und natürlich der sich verändernde Zeitgeist dieses von vielen gepriesenen, von nicht wenigen aber auch skeptisch betrachteten Jahrhunderts.

Malwida von Meysenbug, aus „gutem“ Haus stammend - der Vater war Vertrauter des Kurfürsten von Hessen -, verlebte eine gesicherte Kindheit und Jugend, erfuhr aber bereits frühzeitig eine persönliche Krise im religiösen Bereich. Sie entwickelte eigene, in ihrer Zeit und ihren Kreisen wenig übliche Vorstellungen vom selbständigen Leben als Frau, was sie immer wieder in Konflikt zu ihrer Familie und Umwelt brachte. Auswege in die Malerei und Literatur brachten anfänglich wenig Erfolg. Erst als sie sich politisch engagierte, sich zu einer überzeugten Demokratin und zeitweilig zu einer beinahe fanatischen Sozialistin entwickelte, gelang ihr der Bruch mit dem bisherigen Leben. Sie verließ ihre Familie, arbeitete einige Zeit in Hamburg, lebte dann in Berlin und mußte 1852 nach England emigrieren. Hier arbeitete sie anfänglich als Sprachlehrerin, später als Erzieherin im Haus von Alexander Herzen (1812-1870). In dieser Zeit forcierte sie auch ihre schriftstellerische Tätigkeit. In den späteren Jahren lebte sie - meist in Beziehung zur Familie Herzen - in Frankreich, der Schweiz und Italien. Sie starb am 26. April 1903 in Rom.

Im wechselvollen Leben Malwidas gibt es mehrere Linien, die von besonderem Interesse sind. Da wäre ihre eigene geistige Entwicklung: Sie führt von der Freidenkerin, der Demokratin und zeitweiligen Sozialistin bis zur überzeugten Anhängerin von Arthur Schopenhauer (1788-1860). Da sind ihre vielen Kontakte, Freundschaften und engen Beziehungen zu berühmten Zeitgenossen: die Demokraten und aktiven Kämpfer in der Märzrevolution Gottfried Kinkel (1815-1882), Julius Fröbel (1805-1893) und Carl Schurz (1829-1906); der italienische Revolutionär Giuseppe Mazzini (1805-1872); der Komponist Richard Wagner (1813-1883); der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844-1900) und der Schriftsteller Romain Rolland (1866-1944). Da sind ihre komplizierten privaten Beziehungen zu Theodor Althaus und später zu Alexander Herzen. Und da sind natürlich ihre eigenen literarischen Produkte.

Alle diese Lebenslinien miteinander zu verknüpfen und in die Zeit einzubetten, um ein möglichst komplexes Bild dieser Frauenpersönlichkeit zu vermitteln, stellt schon eine komplizierte Aufgabe dar. Die inneren Kämpfe der Frau, ihre Auseinandersetzungen mit ihrer Zeit, ihre Beziehungen mit berühmten Zeitgenossen, eine inhaltliche Wertung ihrer eigenen Arbeiten ergäben wohl eine sehr lebendige Biographie.

Die Autorin ist jedoch einen anderen, wie ich meine, zu einfachen Weg gegangen. Die Basis ihrer Darstellung bilden nach eigener Aussage die „Memoiren einer Idealistin“, also die Selbstdarstellung der Malwida. Nun sind solche Memoiren, Autobiographien, Briefe u. ä. natürlich eine unabdingbare Quelle für jeden Biographen. Aber man darf nicht der Gefahr erliegen, sich diesen Quellen zu direkt anzuvertrauen, man muß auf kritischer Distanz bleiben können und die Selbstdarstellungen an anderem Material objektivieren. Indem die Autorin recht gradlinig den Memoiren der Malwida von Meysenbug folgt, übernimmt sie meist auch deren - und nur deren - Position. Dadurch bleibt vieles aus dem Leben dieser Frau eindimensional, und die Biographie wirkt an vielen Stellen plakativ.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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