Eine Rezension von Gerhard Keiderling


Die sieben Kanzler der Bonner Republik

Hans Ulrich Kempski: Um die Macht
Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern 1949 bis 1999.

Alexander Fest Verlag, Berlin 1999, 409 S.

 

Hans Ulrich Kempski (Jahrgang 1922) hat seit 1949 als Chefreporter und später als Sonderkorrespondent der überregionalen „Süddeutschen Zeitung“ den Weg der Bonner Republik begleitet: „Über all die Jahre hinweg war ich den Bonner Bundeskanzlern oft nahe genug, um ihre Politik gleichsam mit den Poren aufzunehmen. So entstand dieses Buch: Szenen und Impressionen, Gespräche und Interviews, Gestalten und Geschichten - Sternstunden und sonstige Abenteuer mit den Bonner Bundeskanzlern.“ Diese persönliche Note verleiht dem Buch seinen Reiz. Kempski schildert das Wirken der sieben Kanzler, ihren Kampf um die Macht, ihre Erfolge und Niederlagen anhand von signifikanten Begebenheiten und persönlichen Begegnungen, die in seiner Erinnerung bis heute nicht verblaßt sind. So entsteht ein eindrucksvolles, faßliches und exzellent beschriebenes Bild von 50 Jahren deutscher Nachkriegsgeschichte.

Den BRD-Gründungsvater Konrad Adenauer präsentiert Kempski auf dem Gipfel seiner Machtentfaltung im Herbst 1955. Bestärkt durch die Pariser Verträge vom Mai 1955, die Souveränität und NATO-Mitgliedschaft brachten, flog Adenauer nach Moskau, um den Kreml-Chefs im Gegenzug zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen die Entlassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen abzutrotzen. Die Sympathie der Westdeutschen erfuhr der 81jährige „Alte aus Rhöndorf“, als er zwei Jahre später im aufgemotzten Salonzug Görings durch die Bundesländer tourte und einen triumphalen Bundeswahlsieg einfuhr. Dennoch befand sich die Kanzlerdemokratie à la Adenauer bereits im Abstieg - weniger wegen des „intellektuellen Blutspenders des Kanzlers“, Hans Globke, den die DDR als Kommentator der NS-Antijudengesetzgebung attackierte, als vielmehr wegen der ostpolitischen Defensive, in die seine Neinsage-Politik an der Schwelle der sechziger Jahre geriet. Der „lange Abschied“ Adenauers vom Amt geriet zu einer strapaziösen Belastung der westlichen Politik. Sein Nachfolger Ludwig Erhard war als Vater des Wirtschaftswunders sehr populär. Was den Dicken mit den täglich sechzehn qualmenden Zigarren volkswirtschaftlich auszeichnete, fehlte ihm staatspolitisch. Verunsichert durch die Richtungskämpfe zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“, hilflos gegenüber dem beginnenden Fiasko der Hallstein-Doktrin, war die Kanzlerkrise unaufhaltbar. Kurt Georg Kiesinger, der die Staatskrise in einer Großen Koalition mit der SPD überbrückte, bewies wenig Geschick. Er stürzte nicht nur über seine braune Vergangenheit, für die Beate Klarsfeld ihn öffentlich ohrfeigte.

Der Wahlgang vom September 1969 brachte für mehr als zehn Jahre Sozialdemokraten ins Palais Schaumburg und ab 1976 in den neuen Kanzlerbungalow. Willy Brandt startete den historischen Aufbruch nach Osten. Indem er sich in den Ost-West-Entspannungskurs einklinkte, verhalf er der BRD zu neuer weltpolitischer Stabilität und gab der DDR-Bevölkerung eine „klare Vorstellung vom Möglichen und Notwendigen einer neuen Deutschlandpolitik“ (S. 147). Kempski war im März 1970 dabei, als sich Willy Brandt mit Willi Stoph in Erfurt traf, als Brandt wenig später den historischen Kniefall im ehemaligen Ghetto von Warschau tat und im September 1971 von KPdSU-Chef Breshnew auf der Krim ein Reiterschwert als Freundschaftsgeschenk erhielt. Brandts Rücktritt Anfang Mai 1974 aufgrund der Guillaume-Affäre schildert Kempski aus nächster Nähe: „Der Mantel der Macht war ihm schwer geworden.“ Die zehnjährige Kanzlerschaft Helmut Schmidts war nicht minder bewegt: auf internationalem Parkett das erste Händeschütteln mit Honecker in Helsinki 1975, dann der Rückfall in den Kalten Krieg mit der Raketennachrüstung und zu Hause Schwierigkeiten mit dem FDP-Koalitionspartner, mit RAF-Terror und harten wirtschaftlichen Zeiten. Die Belastungen zehrten an den Kräften des Kanzlers. „Daß Helmut Schmidt drei Ohnmachtsanfälle als Folge eines Stillstands des Herzens hatte, blieb lange verborgen.“

Der Machtwechsel im Oktober 1982 war nicht aufzuhalten. Mit Helmut Kohl zogen nach 13 Jahren wieder die Unionsparteien ins Kanzleramt ein. Aus dessen (zu) langen Regentschaft wählt Kempski zwei mitteilsame Episoden aus: die dramatische Herstellung der deutschen Einheit 1989/90, die Kohl den Titel „Kanzler der Einheit“ einbrachte, und die Bundestagswahlkämpfe von 1994 und 1998, in denen die „Kampfmaschine“ dröhnte. Vom achten Bundeskanzler Gerhard Schröder, den der Autor seit dessen Juso-Zeit kennt, heißt es in einem knappen Schlußkapitel, daß er, für den „Politik eine praktische Veranstaltung“ ist, gern „als Kanzler ein Manager“, ein „Vorsitzender der Deutschland AG“ sein möchte. Man wird sehen.

Das Bestechende an diesem kurzweilig zu lesenden Buch sind die ungewöhnlichen Einblicke in Denken und Handeln, in die persönliche Umwelt der Hauptakteure bundesdeutscher Politik, die einer privaten Beziehung geschuldet sind. Man erfährt Intimes und Amüsantes, besonders aber Verständnis für den komplizierten „Policy making“-Prozeß. Wenn sich die Mächtigen dieser Welt begegnen, bedarf es einer nicht immer leichten Phase des Sichkennenlernens, bis Vertrauen geschaffen, ernsthafte Gespräche geführt und verläßliche Absprachen getroffen werden können. Sechzehn Stunden und dreißig Minuten - so liest man - waren Brandt und Breshnew 1972 in Oreanda auf der Krim unter sich, bis sie den Durchbruch zur Entspannungspolitik fanden. Nicht weniger Zeit benötigten Kohl und Gorbatschow 1990 im Kaukasus, als sie die deutsche Einheit perfekt machten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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