Eine Rezension von Wolfgang Kirsch


Das Christentum in den ersten fünf Jahrhunderten

Rigobert Günther: Hosianna dem Sohn Davids
Kurze Geschichte des frühen Christentums.

Universitätsverlag, Leipzig 1998, 282 S.

 

Wer war Jesus von Nazareth? Was wissen wir über sein Leben? Welchen Hintergrund haben die Jahrestage seiner Geburt und seines Todes, deren wir - mehr oder weniger bewußt - am 25. Dezember bzw. am Karfreitag zu gedenken pflegen? Was hat Jesus gelehrt, und aus welchen Quellen können wir seine Lehre erschließen? Was ist von den Berichten der Evangelien zu halten? Wie „historisch“ sind die Gestalten des Neuen Testaments, sind Johannes der Täufer, Herodes oder Pilatus?

Rigobert Günther, Jahrgang 1928, von 1963 bis 1992 Professor für Alte Geschichte an der Universität Leipzig, Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, ist mit einer Vielzahl von Publikationen zur römischen Geschichte, zur Geschichte der Spätantike und zur Entwicklung der sozialen Utopien der Antike hervorgetreten. Als Schüler Franz Altheims ist er - wiewohl selbst nicht religiös gebunden - besonders mit der Religionsgeschichte des Altertums vertraut. Sein jüngstes Buch, ein Taschenbuch, das sich an den interessierten Laien wendet, beantwortet die eingangs gestellten Fragen und viele mehr.

In 13 Kapiteln wird die Entstehung des Christentums dargestellt, seine Ausbreitung im römischen Reich (und damit auch unter germanischen Völkerschaften), seine zunehmende Organisierung und Hierarchisierung (die ihren Abschluß in der überragenden Stellung des Bischofs von Rom als Papst der westlichen, der katholischen Kirche findet), sein Aufstieg von einer verfolgten zur Andersdenkende verfolgenden Staatsreligion. Die zunehmende Übernahme sozialer Verantwortung durch die Bischöfe wird ebenso lebendig wie der Gang von Lehrauseinandersetzungen z. B. über das Verhältnis von Gottvater und -sohn, über die Haltung der Kirche zu denen, die in der Verfolgung schwach geworden waren. In eigenen Kapiteln werden der soziale Protest im Urchristentum, die urchristlichen Gedanken über den Frieden und sozialutopische Vorstellungen abgehandelt. Mehrfach stellt der Verfasser klar, daß sozialrevolutionäre Vorstellungen dem Urchristentum fremd waren.

Günther macht deutlich, aus welchen sozialen und geistigen Voraussetzungen sich das Christentum entwickelte, inwieweit es traditionell jüdische und antike Gedanken aufgreift und bewahrt (z. B. die Vorstellungen vom Anbruch eines neuen Zeitalters und von einem nahen Weltende, die Hoffnung auf einen Erlöser) und inwieweit es neue Gedanken formuliert (etwa mit der positiven Bewertung körperlicher Arbeit). Im Zentrum des Interesses steht für ihn also die Entwicklung der Kirche, der christlichen Lehrinhalte und des Verhältnisses von Kirche und Staat. Den Schwerpunkt bilden die Vorgänge im westlichen, dem lateinischen, katholischen Europa. Was man als niedere oder Volksfrömmigkeit zu bezeichnen pflegt - der Märtyrerkult, die Heiligen- und Reliquienverehrung, das Pilgerwesen -, wird nur gestreift, obwohl sie für die Popularisierung christlicher und die Zurückdrängung vorchristlicher (sogenannt heidnischer) Vorstellungen von größter Wichtigkeit war. Auch die zunehmende Verbindung von antiker Bildung und Christentum, die die europäische Kultur über anderthalb Jahrtausende bestimmt hat und weithin noch heute bestimmt, wird nur am Rande berührt. Doch gewinnt der Leser ein lebendiges Bild von den vielfältigen Voraussetzungen, der Ausbreitung und den widersprüchlichen Entwicklungen im Christentum der ersten fünf Jahrhunderte, und das hilft zugleich, heutige Verhältnisse besser verstehen. Mehr als einmal kann man das Buch freilich nicht lesen - wegen schlechter buchbinderischer Verarbeitung zerfällt es schon im Laufe der ersten Lektüre.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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