Eine Rezension von Andrée Fischer-Marum


Zwei Lebenswege

Ursula El-Akramy: Transit Moskau
Margarete Steffin und Maria Osten.

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1998, 406 S.

 

Aus welchem Grund werden Biographien geschrieben? Widmet sich der Autor, die Autorin einer Person (oder mehreren), weil sie ihm/ihr besonders nahesteht? Weil sie die Zeit besonders deutlich repräsentiert? Diese Frage stellt sich mir bei der hier zu behandelnden Doppelbiographie. Sollten diese beiden Lebensbeschreibungen vielleicht eher ein Beitrag zur genaueren Kenntnis von Brechts Leben sein? Oder sollen sie - als Teil der gegenwärtigen Diskussion um Frauen in Brechts Umgebung - eine Meinung zu diesem Thema äußern? Es können viele Gründe sein, die Ursula El-Akramy bewogen haben, sich diesen beiden Frauen um Brecht zuzuwenden - Margarete Steffin und Maria Osten. Ihre Lebenswege erhellen, welche unterschiedlichen Wege Frauen in den zwanziger und dreißiger Jahren dieses nun zu Ende gehenden Jahrtausends gegangen sind, um ihre Eigenständigkeit zu finden, welchen unterschiedlichen Lebens- und Arbeitskonzepten diese Frauen gefolgt sind und ausprobiert haben. Dies gestattet uns heute interessante Einblicke über Selbstverwirk-lichungsversuche von Frauen.

Die Autorin, 1951 geboren, Germanistin, Mitarbeit und Projektleitung bei der Flüchtlingshilfe, veröffentlichte eine bemerkenswerte Arbeit: Wotans Rabe - Elisabeth Langgässer, ihre Tochter Cordelia und die Feuer von Auschwitz, in der sie eine ebenfalls höchst widersprüchliche Beziehung zweier Frauen - Mutter und Tochter - beschreibt. Die Lebensbeschreibung der zwei Schriftstellerinnen Maria Osten und Margarete Steffin gemeinsam zu behandeln ist nur möglich, weil die beiden Frauen einem Mann, einem Schriftsteller, weil sie eine gewisse Zeit für Bertolt Brecht wichtig sind. Sie nehmen in seinem Leben und - vor allem Grete Steffin - in seinem Schaffen einen bedeutenden Platz ein, und sie teilen auch zeitweise sein Leben. Warum schreibt die Autorin gerade über diese beiden Frauen, wo es doch in Brechts Umgebung noch so viele andere Frauen gab? Die Lebenswege der Steffin und der Osten - sie haben sehr viel Verschiedenes und sehr viel Gemeinsames. Vor allem: Sie begegneten Brecht. Er war für sie ein großer Anreger, und sie arbeiteten mit ihm gemeinsam. Ihre Wege zu Brecht waren unterschiedlich, und auch die Art des Zusammenseins mit diesem Dichter war sehr ungleich.

Die Wege dieser beiden Frauen treffen sich, wenn auch nur kurz. Maria Osten ist die letzte von den deutschen Freunden, die bei Margarete Steffin ist, als sie in einem Moskauer Krankenhaus an Lungentuberkulose stirbt. Brecht, der über die Sowjetunion in die USA fliehen kann, kurz vor dem Überfall der deutschen Armee auf die Sowjetunion, muß die Steffin schwerkrank in Moskau lassen, weil sie als Tuberkulosekranke kein Visum für die USA erhält.

Die Steffin, 1908 geboren, ist ein Berliner Arbeiterkind. Sie wird mit all den sozialen Problemen ihrer Herkunft konfrontiert, die ein interessiertes Kind, ein Mädchen zumal, erfahren muß: keine geistigen Anregungen in der Familie, Mißtrauen gegenüber ihrem Interesse an der Literatur, an der Kunst, an weiterer Bildung usw. Sie wird, statt weiter zur Schule zu gehen, Laufmädchen. Aber sie gibt sich nicht mit dem ihr vorgezeichneten Weg zufrieden. Sie lernt, sie spielt Theater, schreibt Reportagen, kurze Erzählungen, und sie lernt Brecht, seine Freunde, seinen Kreis kennen, in dem sie bald mitwirkt und eine enge Mitarbeiterin Brechts wird. Vor allem aber: Sie teilt seine Welt- ebenso wie seine Kunstanschauung. Später wird Brecht von ihr sagen, daß sie seine kommunistische Lehrerin gewesen sei. Und: Sie teilt - ebenfalls mit anderen - die Liebe zu und mit Brecht.

Auch Maria Geßhörner stirbt in der Sowjetunion - allerdings nicht im Krankenhaus, nicht an einer Krankheit. Sie ist Opfer ihrer vermeintlichen „Genossen“ des NKWD. Sie, die sich später Maria Osten nennt, kommt aus einer anderen sozialen Schicht. Sie ist ebenfalls 1908 geboren, als Kind von Grundbesitzern, und wächst im Westpreußischen auf. Ihr Weg führt sie als junges Mädchen nach Berlin und - mit einigen Zwischenstationen - zur Arbeiterbewegung. Als Verlagskauffrau lernt sie bei Wieland Herzfelde im Malik-Verlag das Verlagswesen von der Pike auf kennen. Hier trifft sie - ähnlich wie Margarete Steffin - auf eine Arbeits-, Weltanschauungs- und Lebensgemeinschaft, die eine neue Art des gemeinsamen Lebens und Arbeitens zu erproben und - obwohl sie alle Individualisten sind - ein genossenschaftliches Leben zu führen versucht. Maria Osten fängt in dieser Zeit an, erste Texte zu schreiben. Das Berlin der zwanziger Jahre ist für viele Künstler aus Sowjetrußland eine Zwischenstation. Im Malik-Verlag, der Werke sowjetrussischer Schriftsteller publiziert, lernt Maria Osten viele von ihnen kennen, so auch Michail Kolzow, der ihr Mann wird. Sie ist Teil „der gemeinsamen Sache“, der sie bis zum Schluß anhängt, obwohl sie auch deren Opfer wird.

Und dann das Jahr 1933, der große Einschnitt. Die Nazis kommen an die Macht. Wie Brecht und seine Familie muß auch ein großer Teil der Freunde emigrieren - auch Margarete Steffin. Minutiös verfolgt die Autorin das Schicksal der Steffin (und Brechts mit seiner Familie) in der Emigration. Diese Zeit ist für sie von Armut und Krankheit geprägt, aber auch von Arbeit für Brecht, für andere und von der Realisierung eigener Arbeiten, von Reisen, Organisieren, Arbeit für internationale, vorwiegend kommunistische Organisationen. Die Autorin meint, diese Aufopferung mit der engen Verbundenheit, der Liebe zu Brecht erklären zu können, auch die Inkaufnahme der damit verbundenen Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Dichter und der Verhinderung des eigenen dichterischen Schaffens.

Sowohl Margarete Steffin als auch Maria Osten waren sehr bewußt lebende Frauen, beide haben sich wissentlich für den Lebensweg entschieden, den sie beschritten haben. El-Akramy stellt ihre „Heldinnen“ als emanzipierte, äußerst selbstbewußte Frauen dar. „Erstaunlicherweise widmet die Literaturwissenschaftlerin ihre interpretatorische Energie hauptsächlich Brecht. Nur an ihn werden heiße Fragen gestellt“, schreibt Sabine Kebir in der „Zeit“. Ich vermisse in diesem Zusammenhang den Versuch, sich in die politischen Überzeugungen, in die Motive, diesen Weg zu beschreiten, in das Wie und Warum der porträtierten Personen hineinzudenken. Ich finde nicht, daß man die Meinung der beiden Frauen teilen muß, aber man sollte sie wenigsten akzeptieren. Die Beschreibung zum Beispiel, wie intensiev Maria Osten sich darum bemüht, Kinder den Wirren des Spanischen Bürgerkrieges zu entreißen und in die Sowjetunion zu bringen, ist schon beeindruckend.

Es gibt noch viel über Frauen des 20. Jahrhunderts zu erforschen und zu veröffentlichen. Und auch wenn es hier um Frauen, die eine Rolle im Leben Brechts spielten, geht: Das Buch über die Lebensgefährtin Brechts, die mit ihm die Erfolge und die Niederlagen, das Exil und die Heimkehr teilte, das Buch über die Weigel ist noch nicht geschrieben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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