Eine Rezension von Herbert Mayer


Moskau - Karlshorst und zurück

Bernd Bonwetsch/Gennadij Bordjugov/Norman M. Naimark (Hrsg.): sowjetische Politik in der SBZ 1945-1949

Dokumente zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung (Informationsverwaltung) der SMAD unter Sergej Tjul’panov.
Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Verbindung mit dem Institut für Sozialgeschichte Braunschweig/Bonn.
Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger, Bonn 1998, 319 S.

 

Die sowjetische Besatzungsmacht hat nach 1945 in ihrer Besatzungszone die Entwicklung bestimmt und kontrolliert, das ist hinlänglich bekannt. Wer aber bestimmte über die sowjetische Politik in Deutschland und in der SBZ, wer traf die Entscheidungen, wie kamen sie zustande, wie und mit welchen Mitteln und Methoden wurden sie durchgesetzt und verwirklicht, welche Differenzen und Widersprüche entstanden zwischen den sowjetischen Instanzen in Berlin-Karlshorst und Moskau, und wie wurden sie gelöst? Diese Fragen sind zwar in dem vorliegenden Band nicht beantwortet, doch werden wichtige Einblicke vermittelt. Es gibt viele Arbeiten über die Haltung und Politik der Sowjetunion gegenüber Deutschland, doch ihre konkrete, über die SMAD erfolgte Realisierung blieb durch die dürftige Quellenlage unterbelichtet. Zwar sind seit 1990 die Partei- und Staatsarchive der DDR offen, doch die dort vorhandenen spärlichen Unterlagen zur sowjetischen Besatzungspolitik haben diesen Mangel nicht beseitigen können. Die Bestände in den Archiven Rußlands zur Sowjetischen Besatzungszone/DDR blieben weitgehend außerhalb der Reichweite und liegen größtenteils noch (oder wieder) unter Verschluß.

Der Wert der von Bernd Bonwetsch angefertigten Übersetzung der 1994 im Moskauer Verlag Rossija molodaja erschienenen russischen Ausgabe liegt bereits darin, daß sie bisher nicht zugängliche Dokumente zur sowjetischen Besatzungspolitik zu Tage fördert. Es handelt sich um Archivalien aus dem Zentralen Parteiarchiv der KPdSU, die sich heute im „Russischen Zentrum für die Aufbewahrung und Erforschung von Dokumenten der Zeitgeschichte“ (RCChIDNI) befinden. Sie beinhalten den internen Schriftwechsel zwischen der Propagandaverwaltung (ab 1947 Informationsverwaltung) der Sowjetischen Militäradministration (SMA) und den zentralen Stellen in Moskau. Der Spielraum für die SMA war durch Kontrolle und andere Ministerien und Einrichtungen der Sowjetunion (Außenministerium, Außenhandel, Innere Angelegenheiten, Reparationskomitees) eingeschränkt. Die hier behandelte Propagandaverwaltung entstand im Oktober 1945 auf Beschluß des Rats der Volkskommissare, d. h. der sowjetischen Regierung, und stand unter Leitung von S. I. Tjul’panov. Ihre Aufgabe war, auf die deutsche Bevölkerung durch Presse, Radio und Film propagandistisch einzuwirken, die deutschen antifaschistischen Parteien und Organisationen zu unterstützen und die Zensur auszuüben. Die Verwaltung traf wichtige Entscheidungen zu innenpolitischen Fragen in der sowjetischen Besatzungszone und damit über die sowjetische Politik in Deutschland.

Der Band wird eingeleitet durch zwei einführende Beiträge von Naimark und Bonwetsch. Naimark umreißt den bisherigen Forschungsstand und benennt vorhandene Defizite. Zahlreiche Kompetenzüberschneidungen und Rivalitäten sowjetischer Behörden, so zwischen dem Apparat der KPdSU und der SMA, sieht er in den verwirrenden Machtstrukturen der Nachkriegssowjetunion selbst: „Der Stalinismus war entgegen gängigen Vorstellungen keine perfekt funktionierende, hierarchisch organisierte Diktatur, die Staat und Gesellschaft voll unter Kontrolle hatte.“ Da Stalins Anweisungen unterschiedlich interpretiert werden konnten, hatten die sowjetischen Funktionäre einen gewissen Handlungsspielraum, der um so größer war, je weiter sie von Moskau entfernt waren. Bonwetschs Beitrag über die sowjetische Politik in der SBZ und zur Tätigkeit der Propagandaverwaltung behandelt Forschungs- und Quellenprobleme, die Rolle der Propaganda-/Informationsverwaltung innerhalb der SMAD-Struktur, die Stellung Tjul’panovs, die Politik der Verwaltung, die Formen und Methoden ihrer politischen Einflußnahme sowie Maßnahmen gegen das „russische“ Image der SED. Der Chef der Verwaltung, Tjul’panov, stand unter ständiger Kritik, wiederholt wurden Untersuchungskommissionen eingesetzt, und er sollte abgelöst werden, was aber erst 1949 gelang.

Die abgedruckten Dokumente stammen aus den Fonds der KPdSU zu Organisationsbüro, Sekretariat und technischem Sekretariat des ZK, den Abteilungen für Propaganda und Agitation, internationale Information und Außenpolitik (auswärtige Beziehungen) sowie der außenpolitischen Kommission. Sie entstanden mit wenigen Ausnahmen in der Propaganda-/Informationsverwaltung der SMA und unterlagen bis 1991 besonderen Aufbewahrungsregeln. Im ersten Teil sind Berichte und Untersuchungen der Verwaltung aus der SBZ (über Parteien, Gewerkschaften, Wahlen, Volkskongreßbewegung usw.) abgedruckt, die für Moskau bestimmte Einschätzungen über die Lage in der sowjetischen Zone und die Tätigkeit der Verwaltung wiedergeben. Im zweiten Teil sind Dokumente, Informationen und Einschätzungen publiziert, die von Gremien und Personen angefertigt wurden, die die Tätigkeit der Verwaltung kontrollierten, bewerteten und Beschlüsse dazu faßten. Beide Teile sind chronologisch angeordnet, mit Fundstellen, Datierung und Art des Dokuments und Anmerkungen versehen. Einige Archivalien sind aufgrund ihrer Länge und des obligatorischen Platzmangels gekürzt abgedruckt. Dennoch geben die Dokumente insgesamt einen guten Einblick in die Tätigkeit, Motive, Zielsetzungen sowie in die organisatorischen Strukturen der genannten Verwaltung und der SMAD insgesamt. Erkennbar werden vorhandene Differenzen zwischen der Karlshorster Behörde und den Moskauer Instanzen. Belegt wird, daß Tjul’panovs Ablösung zwar wegen politischer Differenzen über die Besatzungspolitik erfolgte, aber nicht damit begründet wurde. Sichtbar wird, daß die Lenkung und Anleitung der SED in einem Spektrum von Anweisungen, Hinweisen, Empfehlungen und Ratschlägen erfolgte, die in ihrer Verbindlichkeit selten eindeutig waren. Von den abgedruckten Dokumenten seien erwähnt die Stellungnahme zur Vorbereitung der SED-Gründung (Memorandum Tjul’panovs für die KPdSU zur „Vereinigung der Arbeiterparteien Deutschlands“ 26.2. 1946) und über Tagungen des Parteivorstands der SED (beginnend am 25. 6. 1946 bis zum 1. 11. 1949). Den Band beschließen Personenregister (in dem Namen wie Sintenis fehlen, das fehlerhafte Angaben beispielsweise zu Sperling enthält oder verfügbare Angaben zur Person vermissen läßt) und ein Sachwortregister (das zu wenige Stichworte hat und teilweise zu einem Schlagwortregister mutiert).

Geblieben ist auch nach diesem Band die unterschiedliche Interpretierbarkeit der sowjetischen Besatzungspolitik. Das betrifft schon die Rolle Tjul’panovs, offen bleibt nach wie vor, wer nun tatsächlich in Moskau die Deutschlandpolitik konzipiert, ausgearbeitet und realisiert hat. Erst die Auswertung weiterer Quellen, auch aus anderen Archiven Rußlands, vermag ein differenziertes und quellenfundiertes Bild von der sowjetischen Deutschlandpolitik und der Tätigkeit der SMAD jener Jahre zu ergeben.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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