Eine Rezension von Björn Berg


Mieser Mann

Tilman Jens: Goethe und seine Opfer!
Eine Schmähschrift.

Patmos Verlag, Düsseldorf 1999, 152 S.

 

Goethe ist schuld. Daran, daß Lenz auf einer Moskauer Straße starb. Daran, daß Kleist sich am Wannsee die Kugel gab. Daran, daß Hölderlin in einem Tübinger Turm vertrottelte. Goethe war ein Mörder. Goethe war ein Würger. War ein Vertilger. War das IM-Urgestein. War ein „Vordenker des Berufsverbots“. Wer in den Goethe-Kreis geriet und in ihm Goethes Kreise störte, mußte damit rechnen, „Strahlenschäden“ davonzutragen, „die tödlich sein konnten“.

Passen so viele Leichen in das Haus am Weimarer Frauenplan, wie Tilman Jens in den Keller des Genius legen will? Ist das fein und fair, was der Publizist da tut? Er wirft einem Menschen vor, nicht fein und fair gewesen zu sein. Das ist recht und billig, wenn einer unfein und unfair war. Ist es aber fein und fair, den Bescholtenen als einen Mann vorzuführen, der zahnlos wird, dessen gepuderter Haarkranz kleiner und kleiner wird und an dessen Körper manches ins Baumeln geraten ist? Nein, fein und fair ist die Demontage des Goethe-Denkmals nicht, mit der Tilman Jens sein Buch Goethe und seine Opfer beginnt. Will Jens fein und fair sein? Er hat seinen Wider-Goethe „Eine Schmähschrift“ genannt. Einmal Schmähschrift, immer Schmähschrift! Wenn der Autor spuckt, schmäht er, wenn er schmäht, spuckt er. Er spuckt dem Geschmähten ins Gesicht. Einem verachteten Menschen, von dem er sagt: „Er kennt kein Erbarmen, er demonstriert Erbärmlichkeit.“ „Leiden des Lebens teilen“ wollte Goethe nicht. Sein Motto, seine Methode: „Augen auskratzen, Ohren abreißen, erwürgen...“

Hatte sich manches nicht schon herumgesprochen in den Jahrhunderten? Wissen wir nicht längst, daß der Göttliche, so „Edel.../hilfreich und gut“ nicht war, wie er den Menschen wünschte? Warum hört sich die Schmähschrift zu oft wie eine Schimpfschrift an? Weil ein Tilman endlich einmal auch gegen Papa Walter Jens schimpfen will - der ihm den guten Goethe eingebleut hat? Wie uns allen geschehen! Mir nicht. Großmutter, die Belesene, hatte keine gute Meinung von dem Mann. Für sie war Goethe „eine fiese Möpp“. Was sie nie hinderte, Goethe, Goethe und nochmals Goethe zu lesen. Goethe ist gut. Das bleibt. Hätte Walter dem Tilman doch mal auf die Pfoten kloppen sollen? Bloß keine neuen Opfer! Goethe-Spätopfer sozusagen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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