Eine Annotation von Astrid Melzer


Kierkegaard, Sören:

Die unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch-Erotische

Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999, 178 S.

 

Der Auszug eines Schriftstückes aus dem Kierkegaardschen Werk Enten-Eller (Entweder-Oder) bietet nach den Taschenbuch-Ausgaben von 1992 bis 1996 wiederum ein handliches Extra, das in bewährter Zusammenarbeit zwischen der Übersetzerin Gisela Perlet und Uta Eichler, der Verfasserin des einfühlsamen Nachwortes über das Verständnis des Kierkegaardschen Essays im Rahmen der Philosophie des Augenblicks, entstand.

Dieses Bändchen ist nicht nur lesenswert für Kierkegaardkenner: Aufgrund der gut lesbaren Übersetzung werden vermutlich auch Nichtphilosophen einen Zugang zum Kierkegaardschen Denken finden. Ebenso könnte dieses Buch Freunden der Musik, insbesondere der Mozart-Opern, vielfältige Anregungen bieten, denn hier dreht sich alles um die Diskussion der Opernfigur des Don Juan, und deren vielfältige Interpretationsmöglichkeiten aus musikalischer, moralischer, ästhetischer, religiöser und philosophischer Sicht. Der Versuch, die Taten des Don Juan moralisch zu bewerten, wird letztendlich fehlschlagen. Dies ist der Kierkegaardschen Konsequenz geschuldet, denn (wie so oft), auch dieses Buch ist Ausdruck der Verarbeitung von Erfahrungen des eigenen Lebens des Autors. In der Rolle des Verführers, die sich Kierkegaard selbst zugeschrieben hat, um von seiner vermeintlichen Schuld loszukommen, hat er die Möglichkeit, moralischer Verantwortung zu entfliehen und ästhetische Rechtfertigung zu finden. Es geht also nicht eigentlich um die Taten des Don Juan, sondern um Kierkegaard selbst, seinen Versuch, das eigene Leben, seine Ängste, seine Fragen und Strategien zu analysieren. Drei Stadien kennzeichnen die von Erotik getragene Leidenschaft, die von Liebe und Verlangen geprägte Einstellung des Verfassers zur Musik Mozarts. Das erste Stadium ist im Pagen des „Figaro“ angedeutet, das zweite durch Papageno in der „Zauberflöte“ und das dritte schließlich durch Don Juan. Der Verfasser räumt Mozarts Don Juan vor allen klassischen Werken den obersten Rang ein, denn die Idee dieses Werkes sei absolut musikalisch, d. h., die Musik ist nicht nur Begleitung, sondern macht ihr innerstes Wesen in der Offenbarung dieser Idee hörbar. Und so unternimmt Kierkegaard den schwierigen Versuch, mit seiner Sprache auszusprechen, was die Musik so musikalisch bzw. erotisch macht. Meine Lektüre endet jedenfalls mit der Festigung des Vorsatzes, doch einmal wieder die Oper zu besuchen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 7+8/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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