Eine Rezension von Birgit Pietsch


Zwischen den Stühlen

Ray Moseley: Zwischen Hitler und Mussolini
Das Doppelleben des Grafen Ciano.

Aus dem Amerikanischen von Angelika Beck.

Henschel Verlag, Berlin 1998, 318 S.

 

Eitel, arrogant, leichtfertig - humorvoll, liebevoll, warmherzig. So widersprüchlich eine Bewertung Cianos durch andere ausfällt, so widersprüchlich war auch sein Charakter. Ray Moseley stellt in dem vorliegenden Buch eine der schillerndsten Persönlichkeiten des faschistischen Italien vor, erst Mussolinis Außenminister und faktisch sein Kronprinz, dann sein Gegner und Opfer. Gian Galeazzo Ciano, Conte di Cortellazzo, gehört zu den Reichen und Schönen dieser Welt, als er 1930 Edda Mussolini, Tochter des mächtigsten Mannes Italiens, heiratet. Von nun an protegiert von seinem Schwiegervater, macht er in kurzer Zeit Karriere vom Botschafter zum Propagandaminister und 1936 zum Außenminister Italiens- mit dreiunddreißig Jahren der jüngste Außenminister Europas. Zwischendurch stellt er seine Kriegsbegeisterung unter Beweis und fliegt als Bomberpilot mehrere Einsätze während des Abessinienfeldzuges. Nebenher hat Ciano offenbar genug Zeit für ein ausschweifendes Leben. Er häuft weitere Reichtümer an und sucht sich seine Geliebten unter Prinzessinnen, Baronessen und Filmsternchen. Ray Moseley stellt dar, daß Ciano nach seinem rasanten politischen Aufstieg nicht die bloße Marionette Mussolinis bleibt, der ihn bewundert, in allem nacheifert und imitiert. Ciano entwickelt eigene politische Gedanken. Er spornt den Duce an, die Francotruppen in Spanien zu unterstützen. Ciano beteiligt sich an der Demontage des deutschen Gesandten in Italien von Hassell, da dieser kein Anhänger der Nationalsozialisten ist. Der Außenminister drängt auf die Annexion Albaniens, das er danach wie sein „Großherzogtum“ behandelt. Als treibende Kraft stürzt er sein Land in den Krieg gegen Griechenland, in dem die Italiener ein fatales Fiasko erleben und nur durch das Eingreifen Deutschlands vor einer Niederlage bewahrt werden.

Für Moseley ist Ciano „ein Karrierist, ohne feste Prinzipien oder moralische Richtschnur, überzeugt nur von sich selbst“. So ist es kein Wunder, daß Ciano seine Meinung über Hitler ständig wechselt. Nach anfänglicher Ablehnung bewundert er ihn und unterstützt ohne Vorbehalte die Achse Rom-Berlin. Ein Bündnis, bei dem sich die Partner ständig hintergehen und brüskieren. Wenn Ciano abermals seine Haltung zu Hitler wechselt, so wohl nicht durch die demütigende Einsicht, für die Deutschen kein Partner, höchstens Juniorpartner zu sein, abhängig und immer im Nachhinein über deren Entschlüsse unterrichtet. Erst die sich abzeichnende Niederlage an der Seite Deutschlands läßt ihn mit Hitler und auch mit dem Duce brechen: Ciano stimmt im Faschistischen Großrat für eine Resolution, die zur Entmachtung Mussolinis führt. Er hatte sich jedoch zuvor zu sehr an der Seite des Duce diskreditiert, um nun einen Neuanfang in einem antifaschistischen Italien unternehmen zu können, und so sitzt er nun zwischen den Stühlen. Mit seiner Familie flüchtet er vor der drohenden Verhaftung ausgerechnet nach Deutschland. Hitler läßt ihn dann den italienischen Faschisten überstellen. Ein Sondergericht verurteilt den ehemaligen Außenminister 1944 in Verona zum Tode. Mussolini unternimmt nichts, um seinen Schwiegersohn zu retten, und so wird das Urteil vollstreckt. Ein Drittel von Moseleys Buch befaßt sich mit dem letzten Lebensabschnitt Cianos nach dem Sturz Mussolinis. Wobei der Autor minutiös Cianos Zeit in den Händen der Deutschen, in Haft bis zu seiner Hinrichtung schildert.

Was folgt, ist eine regelrechte Jagd auf die Tagebücher des Grafen. Sowohl die Amerikaner als auch die Deutschen wußten um die Brisanz dieses Materials. Moseley geht ausführlich auf das Schicksal der Aufzeichnungen ein, die nach dem Krieg zu einem wichtigen zeitgeschichtlichen Dokument werden. So mutet es wie ein später Sieg Cianos an, daß seine Tagebücher Beweismittel der Anklage im Nürnberger Prozeß u.a. gegen den ehemaligen deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop werden.

Zwischen Hitler und Mussolini erscheint zuerst in Deutschland, sicher ein Indiz dafür, welches Interesse die Themen Nationalsozialismus und Faschismus hier mehr als fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs finden. Etwas unglücklich fiel jedoch die Wahl des Buchtitels aus, schließlich befand sich Ciano nicht zwischen Hitler und Mussolini. Die Unterzeile „Das Doppelleben des Grafen Ciano“ läuft ebenso in die Irre, führte Ciano doch noch lange kein Doppelleben, nur weil er häufig seine Meinungen wechselte, er war im Nebenberuf weder Geheimagent noch Untergrundkämpfer. Moseley verwandte für seine Biographie eine Vielzahl von Aufzeichnungen Cianos und seiner Frau sowie von Mitarbeitern und Bekannten des Grafen. Damit wird die Darstellung vieler politischer Ereignisse von einer recht privaten Sicht geprägt, die mitunter mehr über die Atmosphäre von Verhandlungen als über deren Inhalt aussagt. Moseley bemüht sich in seiner lesenswerten wie auch informativen Arbeit, der historischen Figur gegenüber Gerechtigkeit walten zu lassen, auch wenn man sich nicht jeder Bewertung anschließen kann. „Seine Tragödie bestand darin, daß er sich an sein hohes Amt klammerte, anstatt offen mit Mussolini und den Deutschen zu brechen. Hätte er es getan, so wäre die Geschichte zwar vermutlich nicht anders verlaufen, doch vielleicht hätte er mit einem solchen Schritt andere ermutigt, die Tragödie schneller zu beenden, als es dann geschah.“ Wenn der Autor Ciano andererseits als einen der meistgehaßten Männer Italiens bezeichnet, ist es doch zweifelhaft, ob ein derartiger Schritt wirklich diese Ermutigung für andere gewesen wäre. Zudem hätte er wohl auch nicht Cianos Charakter entsprochen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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