Eine Rezension von Walter Unze


Fragen der gegenwärtigen Menschheitsentwicklung

Hubert Markl: Wissenschaft gegen Zukunftsangst

Carl Hanser, München 1998, 362 S.

 

Der Biologe Hubert Markl (1938) ist nicht nur durch seine langjährigen Funktionen im Wissenschaftsbereich bekannt, so als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, als Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und seit 1996 als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Er hat auch durch eine Reihe von Büchern Leser dafür gewonnen, sich mit Problemen der modernen Wissenschaftsentwicklung zu befassen; erinnert sei nur an Natur als Kulturaufgabe (1986) oder Die Fortschrittsdroge (1992).

Die hier vorliegende Sammlung von Vorträgen aus den Jahren 1992 bis 1998 ist keine einfache Zusammenstellung einmal gehaltener Reden. Der Autor hat sie vielmehr in vier Schwerpunkte gegliedert und damit dem Buch eine eigene Komposition geschaffen, die man als Leser gerne annimmt. Zumindest trifft das auf die ersten drei Teile (I. Der Platz des Menschen in der Natur, II. Mensch und Umwelt, III. Naturforschung und Fortschritt) zu. Lediglich der abschließende Teil (IV. Wissen - Macht - Politik) enthält eine Reihe Wiederholungen, da es dem Autor dort darum geht, seine wissenschaftlichen Aussagen für die politische Umsetzung aufzubereiten und er so schon vorher Gesagtes - wenn auch mit neuem Ziel und in spezifischem Zusammenhang - noch einmal vorträgt.

Im I. Teil stellt Markl die auf den ersten Blick seltsame Frage: „Warum stammt der Mensch von Affen ab?“ Ihm geht es hier, wie auch in den zwei anderen Abschnitten (Unser Platz in der Natur; Die fortwirkende Naturgeschichte des Menschen) um die Einordnung des Menschen in die Naturgeschichte sowie um die Bestimmung seiner besonderen Rolle. Einer der Kernsätze ist die Feststellung, daß die Kultur die wahre Natur des Menschen sei, „seine spezifische Weise der Anpassung an die Welt, in die er sich hineinentwickelt hat, nicht Unnatur, nicht Gegennatur, sondern Eigennatur unserer Spezies.“

Im II. Teil drehen sich die Ausführungen um die zwei Hauptprobleme der gegenwärtigen Menschheitsentwicklung, den Bevölkerungszuwachs und die Energieversorgung. Der Autor erläutert, warum in seinem Verständnis Überbevölkerung in erster Linie kein biologisches, sondern ein moralisches Problem darstellt und woraus die Verpflichtung erwächst, den „Schritt zur selbstverantwortlichen Kontrolle unserer eigenen Vermehrung“ zu tun. Mit einer Vielzahl von Argumenten macht er darauf aufmerksam, daß und warum es nicht akzeptabel sein kann, daß die Menschheitsvermehrung bis zur endgültigen und nur kurzfristigen Tragekapazität der Erde von 20 bis 30 Milliarden Menschen fortschreitet.

Die Auseinandersetzung mit der Angst vor der Zukunft steht im Mittelpunkt des III. Teils. Hier spürt man das Bemühen des Naturwissenschaftlers, das bereits vorhandene Wissen in seiner ganzen Dimension, in seiner Bedeutung für den wissenschaftlich-technischen wie für den geistig-kulturellen Fortschritt sichtbar zu machen. Gegenüber pessimistischen Deutungsversuchen und dem Infragestellen der modernen Wissenschaften legt Markl hier ein eindeutiges Bekenntnis zum Erkenntnisoptimismus ab. Für ihn gibt es keine bedeutendere Kulturleistung des Menschen als das Erkenntnisgebäude der Wissenschaften: „Dies ist eine großartige Botschaft, auch eine sehr demokratische Botschaft der Gleichheit aller Menschen als wissensfähige, erkennende Wesen - obwohl die Wissenschaft als elitär bezeichnet wird - und zugleich ein ganz unglaublicher Erkenntnisfortschritt: daß die Welt nach in sich einheitlichen Prinzipien organisiert ist, daß es sozusagen nur eine Art von Welt gibt und daß der menschliche Geist imstande ist, dies mit an Wahrheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erkennen.“

Ein immer wiederkehrendes Problem, mit dem der Biologe weit in die philosophische Erkundung hineinleuchtet, ist die Frage des Maßes. Nach seiner Meinung scheint in der Antriebsstruktur des Menschen ein „Kontrollsystem zum Maßhalten“ zu fehlen, der Mensch sei von Natur aus nicht weniger maßlos als die Natur selbst. Ihn schütze kein „bekömmliches Maß“. So seien in Fragen des Wachstums die von Erfahrung geprägten Maßstäbe gefährlich verschoben.

Ein Wort noch zur Darstellungsweise, eine für Bücher dieser Art ja besonders wichtige Problematik. Hier gibt es keine Fachsprache, keinen Jargon, den man mühsam entziffern muß. Vielmehr herrschen Verständlichkeit und logischer Aufbau vor; eine klare, argumentierende Aussage folgt nach der anderen. Hinzu kommt die Vorliebe des Autors für bildhafte Vergleiche, für nachvollziehbare Belege und Beispiele, so daß man ihm seine Thesen nicht einfach glaubt, weil er - ein bekannter Wissenschaftler - sie vorträgt, sondern daß man zum Nachdenken und zum überzeugten Akzeptieren geführt wird.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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