Eine Rezension von Hans Aschenbrenner


Aufstieg, Blütezeit und Niedergang

Simone Ladwig-Winters: Wertheim
Geschichte eines Warenhauses.

be.bra verlag, Berlin/Brandenburg 1997, 160 S.

 

Auch wenn das Wort Innovation noch nicht zum Sprachgebrauch gehörte, innovativ jedenfalls hat Georg Wertheim gedacht, als er im Jahre 1886 das Grundstück Leipziger Straße 132-137 erwarb und einige Zeit später darauf ein Warenhaus errichten ließ. Eröffnet wurde es Anfang Dezember 1897, gerade noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft. Unter der Regie des berühmten Baumeisters Alfred Messel war damit in der Leipziger Straße und am Leipziger Platz ein Prachtbau entstanden, der neue Maßstäbe in der Kaufhausarchitektur und -geschichte setzte. Das damals größte Warenhaus Deutschlands zog Kunden von nah und fern an aufgrund seines umfangreichen Sortiments, einer riesenhaften Auswahl mit immer wieder vielen Neuheiten, seiner Warenpräsentation, aber auch seiner Architektur und Innengestaltung. Zu Wertheim ging man, um für einen annehmbaren Preis zu konsumieren, aber auch, um zu sehen, in eine kunstvoll arrangierte Warenwunderwelt einzutauchen. Alle in jener Zeit entstandenen Wertheim-Häuser sind von renommierten Architekten gestaltet und entworfen worden; außer denjenigen in Berlin am Leipziger Platz (es erfuhr noch mehrere Erweiterungen), am Moritzplatz, in der Rosenthaler Straße und der Königstraße existierten noch Filialen in Stralsund, Rostock und Breslau.

Bei ihrer Arbeit an dem Buchtitel kam der Politologin Simone Ladwig-Winters der Umstand zugute, daß Georg Wertheim, der „Kopf“ der Firma, stichpunktartig Tagebuch über die Entwicklung des Unternehmens geführt hatte. Ihr lag eine Abschrift dieses Original-Tagebuchs vor, und von Georg Wertheims Sohn erhielt sie grünes Licht, das unveröffentlichte Manuskript zu verwerten. Dies hat zusammen mit Informationen zahlreicher Gesprächs- und Korrespondenzpartner sowie intensiven eigenen Quellenstudien dazu geführt, daß am Ende ein grundsolides, auch geschmackvoll illustriertes Buch über Aufstieg, Blüte und Niedergang des namhaften Warenhausunternehmens sowie die wechselvolle Geschichte der Familie Wertheim entstehen konnte.

Es gehört zu den Vorzügen der Publikation, daß die Autorin die Geschichte der WertheimWarenhäuser nicht isoliert von der (gleichfalls namhaften) Konkurrenz betrachtet, sie auch nicht von der Problematik der Waren- und Kaufhäuser im allgemeinen und erst recht nicht von gesellschaftlichen Gegebenheiten abkoppelt. War am Anfang des Jahrhunderts Wertheim der größte Konzern in der aufstrebenden Branche, so sollte sich das in den 20er Jahren ändern: Um die Spitzenstellung rangen jetzt Karstadt und Hermann Tietz; es folgte Leonhard Tietz. Erst danach kam Wertheim, für die Berliner aber noch immer Inbegriff von Geschmack und Eleganz. Mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre gerieten auch die Warenhäuser in den Strudel, da sie für ihre diversen Investitionen Fremdmittel aufgenommen hatten. Das Unternehmen Wertheim - seit seiner Gründung 1875, damals noch in Stralsund, immer in Familienbesitz - hatte den wirtschaftlichen Einbruch vor allem aufgrund einer erheblichen Kreditaufnahme, allerdings zu äußerst schlechten Konditionen, noch einmal abwenden können.

Verheerend waren nach 1933 weniger die Auswirkungen nationalsozialistischer Propagandakampagnen gegen Warenhäuser (zum angeblichen Schutze des Mittelstandes), sondern vor allem die Folgen des immer brutaler praktizierten Antisemitismus. Auf Boykott folgte die „Arisierung“, die systematische Verdrängung der jüdischen Familienmitglieder aus der Unternehmensleitung; sie wurden gezwungen, ihre Familienanteile zu verkaufen. Die Autorin weist nach, daß mehr als ein Drittel der zuletzt ausgeschiedenen jüdischen Mitarbeiter dem Holocaust zum Opfer gefallen sind. Der Leser erfährt von Versuchen, noch jüdische Mitarbeiter einzustellen, deren Gesamtzahl in dem Unternehmen vergleichsweise klein gewesen ist. Auch heute sind nicht alle der „aus rassischen Gründen“ Entlassenen namentlich bekannt.

Der Krieg ließ von den meisten Wertheim-Unternehmungen kaum etwas übrig; das Paradestück an der Leipziger Straße war 1945 nur noch eine Ruine. Dennoch ist unter dem Namen „Wertheim“ der Betrieb umgehend wiederaufgenommen worden - in der Leipziger Straße wurden im „Erdgeschoß“ Lebensmittel, Obst und Gemüse verkauft. Anfang der 50er Jahre hatte Hertie verschiedene Wertheim-Anteile übernommen. Wie es dann mit dem Namen „Wertheim“ weiterging, beleuchtet Simone Ladwig-Winters zusammenfassend so: „Vermutlich wird es in dieser Zeit eine Vereinbarung gegeben haben, den Namen Wertheim weiterhin zu verwenden. Erst mit der Übernahme der letzten Anteile durch Hertie 1984 scheint diese Regelung erloschen zu sein, denn seit diesem Zeitpunkt wird mit der eigenwilligen Formulierung ,Wertheim bei Hertie‘ geworben. Erst seit Anfang der 90er Jahre Hertie von Karstadt übernommen worden ist, scheint dem Namen Wertheim wieder ein eigenständiger Wert beigemssen zu werden.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite