Eine Rezension von Volker Strebel


Mahnungen und Anregungen

Gerd Koenen/Lew Kopelew (Hrsg.): Deutschland und die russische Revolution

Reihe „West-östliche Spiegelungen“, Band 5.

Wilhelm Fink Verlag, München 1998, 952 S.

 

Umtriebig, wie es seine Art war, hatte Lew Kopelew noch einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt, für diesen neuesten Band der West-östlichen Spiegelungen. Damit liegt die von Kopelew initiierte große verlegerische wie wissenschaftliche Unternehmung beinahe komplett vor. Die Fertigstellung zu erleben, war dem Schriftsteller allerdings nicht mehr vergönnt. Eine kritische Sichtung der präsentierten Forschungserträge bleibt einmal mehr dem Leser überlassen.

Wie ein Vorspann zu diesem umfangreichen Werk, das immerhin 25 Beiträge von zumeist ausgewiesenen Fachleuten bündelt, liest sich ein ausführliches Gespräch der beiden Herausgeber: „Verlorene Kriege, gewonnene Einsichten. Rückblicke vom Ende eines Zeitalters. (S. 15-48) Markante Stationen der deutsch-russischen Beziehungen in diesem Jahrhundert werden brennpunktartig in ihrer Zwiespältigkeit angesprochen.

Ohne Zweifel - und eine eindrucksvolle bibliographische Sammlung im Anhang dieses Buches belegt dies - beschäftigte die russische Revolution von 1917 die Zeitgenossen vor allem in Deutschland. Im vorliegenden Band wird dies in vier Themenkomplexen betrachtet. Der Komplex „Weltkrieg und Weltrevolution“ enthält u.a. den Beitrag „Zwischen Marx und Lenin“. (S.134-164) Hier äußert sich der bekannte Marxismusforscher Helmut Fleischer über die Stellung Rosa Luxemburgs zur Revolution in einem Land, in dem sie eigentlich - nach Marx- gar nicht hätte stattfinden dürfen. Andere Wissenschaftler beleuchten Krisenmomente des Zarismus oder untersuchen im Zusammenhang mit dem Bolschewismus das Phänomen der „asiatischen Despotie“. Leonid Luks weist in seinem Beitrag „,Eurasier‘ und ,Konservative Revolution‘. Zur antiwestlichen Versuchung in Rußland und in Deutschland“ (S. 219-239) Gemeinsamkeiten in ideologischen Strömungen beider Länder auf. „Parallele ohne Berührungen“ umschreibt Luks die in beiden Ländern gleichzeitig sich entwickelnden Bestrebungen, die in der Tat kaum etwas voneinander wußten. Sowohl die „Eurasier“ als auch die „Konservative Revolution“ umfaßten Denker und Propheten einer Stimmung, die jenseits der etablierten euro-amerikanischen Kultur einen neuen, noch nie dagewesenen Kulturraum zusammen errichten wollten. Während die nationalrevolutionären Kreise in Deutschland der NS-Diktatur zum Opfer fielen, gerieten die aus dem Exil in die Sowjetunion zurückgekehrten „Eurasier“ in das Räderwerk der stalinistischen Mühlen.

Der zweite Abschnitt des Bandes „Zusammenbruch und Aufbruch“ beleuchtet Stimmungen über Rußland und die Revolution vor allem anhand der Äußerungen von Autoren wie Thomas Mann, Oswald Spengler oder Georg Lukács. Das Schicksal der ästhetischen Avantgarde und ihre Dienstbarmachung zugunsten einer monströsen Ideologie zeigt Martin Fähnders exemplarisch in seinem Beitrag „Zwischen ästhetischer und politischer Avantgarde - Franz Jung und seine, Reise(n) in Rußland‘“ (S. 431-461) auf. Das Ende war schon im Anfang programmiert. Schritt für Schritt setzte sich mit der Etablierung der Parteidiktatur die Aushebelung eines hehren Ideals durch, das nicht wenige unter Einsatz ihres Lebens zu retten suchten. Daß die Liquidatoren die eigenen Genossen waren, machte die Tragik dieser Revolution aus.

„Begegnungen und Prägungen“ bestimmen den dritten Teil des Buches. Fritz Mierau, der versierte Übersetzer und Vermittler russischer Literatur und Kultur, beleuchtet in seinem Beitrag ein weiteres Mal die russische Kolonie der zwanziger Jahre in Berlin: „Wind vom Kaukasus. Die Russen in Berlin. Begegnungen und Entfremdungen.“ (S. 646-675) Mierau weist nach, daß es trotz reichhaltigen Zeitungs- und Verlagswesens zu keiner nachhaltigen Wahrnehmung beider Kulturen gekommen sei. Autoren wie Vladimir Nabokov hatten in Berlin lediglich eine Schattenexistenz geführt.

„Einblicke und Ausblicke“ schließen das Werk ab, und Lew Kopelew bemüht sich, in „Fragen bleiben“ (S. 805-826) Wege in die Zukunft aufzuzeigen. Bei aller Skepsis angesichts eines derart verrohten Jahrhunderts erinnert er an seinen Freund, den Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, und dessen „Vermächtnis - die Forderung nach der Einheit von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Moral“. Gerade die lebenslängliche Beschäftigung mit der Beziehung zwischen Deutschen und Russen führt Lew Kopelew zu der bedenkenswerten Frage: „Wann werden wir endlich aus der Geschichte lernen? Die deutsch-russische Geschichte gibt dazu Mahnungen und Anregungen wie keine andere.“


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite