Eine Rezension von Kathrin Chod


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Bilder von der „Hofhaltung Neros“

 

Volker Knopf/Stefan Martens: Görings Reich
Selbstinszenierungen in Carinhall.

Ch. Links Verlag, Berlin 1999, 196 S.

 

 

Preußischer Ministerpräsident, Reichsjägermeister, Reichskommissar für Luftfahrt, Reichsforstmeister, Beauftragter für den Vierjahresplan, Reichsmarschall, Aufsichtsratsvorsitzender der Reichswerke „Hermann Göring“. Niemand in der Führung des Dritten Reiches konnte wohl mehr Ämter und Titel aufweisen als Hermann Göring. Ebenso zahlreich waren auch seine auf Staatskosten betriebenen Residenzen: das Alpenhaus am Obersalzberg, der Reichsjägerhof Rominten in Ostpreußen, die Villa des preußischen Handelsministers am Leipziger Platz in Berlin, das Jagdhaus Darß, das Jagdhaus Röth am Königssee und eben Carinhall in der Schorfheide. Wobei Carinhall nicht nur das prominenteste und größte Anwesen war, sondern auch das geschichtsträchtigste. Hier lebte und präsentierte sich der Politiker, den Hitler zu seinem Stellvertreter im Staate ernannte. Hier bereitete Göring den Anschluß Österreichs und das Münchener Abkommen diplomatisch vor. Hier plante man die Luftschlacht um England.

Die Autoren Volker Knopf und Stefan Martens widmeten sich in dieser geschichtlichen Ortserkundung einem Platz, der auf keiner Landkarte verzeichnet ist und von dem kaum noch Relikte vorhanden sind. Seit seiner Entstehung ranken sich zahlreiche Mythen um Carinhall, die auch mit der Vernichtung des Landsitzes nicht verschwanden, sondern eher zunahmen. So ist das Buch Ergebnis einer historischen Detektivarbeit. Volker Knopf trug bei seinen jahrelangen Recherchen eine Vielzahl bislang unbekannter Dokumente, Pläne und Fotos aus Archiven und Privatbesitz zusammen, befragte Zeitzeugen Görings. Er rekonstruierte hierbei akribisch die Baugeschichte des Anwesens. Stefan Martens liefert dazu einen biographischen Abriß. Er stellt Göring als einen der ältesten Gefolgsleute Hitlers dar, der nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten den Ausbau dieser Macht entscheidend vorantrieb. 1934, nach Hindenburgs Tod, übernimmt der zweite Mann im Staate die Hitler verhaßten repräsentativen Funktionen im Reich. 1936 Beauftragter für den Vierjahresplan, soll er Deutschland in vier Jahren kriegsbereit machen. Göring nimmt damit vor dem Zweiten Weltkrieg eine der politischen Schaltstellen des Dritten Reiches ein. Gleichzeitig widmet er sich seit 1934 verstärkt der Außenpolitik. Er unternimmt zahlreiche Auslandsreisen, bei denen er seine Gesprächspartner im Gegenzug nach Deutschland einlädt.

Parallel dazu verläuft die Baugeschichte Carinhalls, beginnend mit dem 1934 im Stil einer schwedischen Blockhütte errichteten Jagdhaus in der Schorfheide, in der Nähe der Reichshauptstadt, im Jagdrevier der preußischen Könige und deutschen Kaiser. Von Anfang an mißt Göring seinem Jagdsitz politische Bedeutung bei, denn „bei der Pirsch lassen sich Probleme oft leichter lösen als am grünen Tisch“. So lädt er bereits 1934 zum ersten Diplomatenempfang nach Carinhall.

Den Namen erhält die Residenz nach Görings erster Frau Carin, deren sterbliche Überreste 1934 von Schweden hierher überführt und wie bei einem Staatsakt in der eigens dafür angelegten Gruft bestattet werden. 1936/37 folgt die Erweiterung zum prunkvollen Familien- und Repräsentationssitz - dem sogenannten Waldhof, einem gewaltigen reetgedeckten Gebäudekomplex, der von einem kunstvoll angelegten Park umgeben ist. Als Gäste weilen hier u.a. Mussolini, der spätere britische Außenminister Lord Halifax und der Herzog von Windsor. Gerade besondere Staatsmänner, die Göring für sich und seine Politik einnehmen will, führt er zu seinem Landsitz. Die entspannte, familiäre Atmosphäre verfehlt in der Regel nicht die gewünschte Wirkung.

1939/40 erweitert man den Wohnsitz noch einmal. Es entsteht die hochherrschaftliche Residenz des Reichsmarschalls. Görings Leibfotograf schreibt im Zusammenhang mit einem Besuch dieses Anwesens 1940 vom „sagenhaften Carinhall“, von dem so unzählige Gerüchte im Lande umhergingen und von dem bisweilen gesprochen wurde wie „von der Hofhaltung Neros“. Und nach dem ersten Anblick stellt er fest: „Es war das Haus eines Monarchen oder Milliardärs.“

Parallel zum Machtverlust im Reich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges steigert sich Görings Bau- und Sammelsucht ins Unermeßliche. So bilden den vorletzten Akt der Baugeschichte Carinhalls schließlich die Planungen für ein Hermann-Göring-Museum. 1953 sollte es fertiggestellt sein und auch die gehorteten Kunstschätze der Öffentlichkeit präsentieren, zu denen u.a. 1375 Gemälde und 250 Skulpturen gehörten. Im Buch heißt es hierzu: „Ab Anfang 1943 hatte sich Reichsmarschall Göring mehr und mehr in die Scheinwelt seiner Kunstsammlung in Carinhall zurückgezogen. Die Planungen für die Erweiterung des Waldhofes zum Hermann-Göring-Museum waren für ihn wichtiger als die Nachrüstung seiner Luftwaffe.“ Am 28. April 1945 schließlich wird unmittelbar vor dem Eintreffen erster Späher der Roten Armee der Waldhof in die Luft gejagt. Sein Hausherr sollte das Ende seiner Residenz um mehr als ein Jahr überleben. Göring setzt am 15. Oktober 1946 mit einer Giftkapsel seinem Leben ein Ende, nachdem ihn zuvor der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg zum Tod durch den Strang verurteilt hatte.

Neben der so eng verwobenen Lebens- und Baugeschichte enthält der hervorragend ausgestattete Band auch eine Auflistung weiterer Residenzen, Sonderzüge und Yachten Görings sowie eine Zeittafel. Die Autoren verzichten in ihrem Buch auf Scharzweißmalerei, setzen auf Information und differenzierte Darstellung statt Dämonisierung und erliegen trotz der großen Nähe zur Person nicht der Gefahr der Verharmlosung. So stehen Pomp, Pathos und bisweilen Lächerlichkeit nicht losgelöst vom geschichtlichen Fakt. Schließlich war es der nette Dicke im Jägerkostüm, der selbsterklärte „letzte Renaissancemensch“, von dem sich Reinhard Heydrich die Unterschrift zur „Endlösung der Judenfrage“ einholte.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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