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Kathrin Chod

Spuren deutscher Vergangenheit

 

Es gibt viele gute Gründe, in die Schorfheide zu fahren. Eines der größten Waldgebiete Mitteleuropas mit malerischen Seen erstreckt sich hier ganz in der Nähe Berlins. Doch wer sich Anfang April zwischen Großem Döllnsee und Wuckersee einfand, den führte ein anderes Motiv hierher, als die schöne Landschaft zu genießen. Der Christoph Links Verlag hatte zu einer Presseexkursion geladen. Und Journalisten von der Augsburger Allgemeinen bis zur Frankfurter Rundschau sowie Rundfunk- und Fernsehteams aus Brandenburg bis Österreich waren gekommen, um die Präsentation des Buches über den zweiten Mann nach Hitler und seine Residenz, Görings Reich - Selbstinszenierungen in Carinhall, am Ort des historischen Geschehens zu erleben (Rezitation in dieser Ausgabe). Angereist waren auch die Autoren - Volker Knopf, der die gesamte Baugeschichte des Waldhofes Carinhall recherchierte, und der Historiker Stefan Martens, der die biographische Seite der Darstellung übernommen hatte. Geboten wurde eine Führung durch das, was einst Görings Reich war. Angefangen mit dem einzigen, was von Carinhall erhalten geblieben ist: zwei Torhäuser, an denen die Marschallstäbe als Insignien Görings noch sichtbar sind. Sie sollten die Einfahrt zu einem Hermann-Göring-Museum bilden, dessen Fertigstellung Göring für 1953 geplant hatte. Außerdem zwei Häuser für die Wachen, in denen heute Waldarbeiter wohnen, und eine Kastanienallee.

Die finden die nun dort versammelten Reporter ganz schön mickrig. Die Kastanie sei eben kein typischer Schorfheidebaum, weiß Knopf zu berichten, und daher der kümmerliche Wuchs. Der verdutzte Martens bekommt unterdessen die Frage gestellt, woher denn der Name Schorfheide stamme, worauf der Göring-Spezialist nun doch keine Antwort weiß. Warum Carinhall gerade hier entstand, will man von den Autoren wissen. Schöne Landschaft, Staatsjagdgebiet seit Jahrhunderten - das reicht offenbar als Antwort nicht, und so streut Martens eine Episode aus Emmy Görings Erinnerungen ein, wonach sie weiland mit Hermann durch die Schorfheide streifte, gerade hier Rast machte und sie so diesen Ort erwählten. Natürlich sei das Ganze unverbürgt, merkt Martens noch an. Aber offenbar trifft diese Erklärung den Geschmack der Journalisten, gibt man sich doch damit zufrieden. Dann der eigentliche Waldhof Carinhall, wo es kaum noch was zu sehen gibt. Hier also der Hirschplatz, nur ohne Hirsch, der steht jetzt im Tierpark Friedrichsfelde. Da der Findling mit dem falsch geschriebenen Namen des Anwesens. Carinhall und nicht Karinhall, wie hier zu lesen, heißt es schließlich. Ansonsten ein Trampelpfad und ein paar Löcher und ein paar Steine und ein paar rostige Träger. Hier muß man sich nun das Hauptportal vorstellen und da die Badezimmer und da die Bunker. Wozu gehört denn die Steinkante? Ja vielleicht eine Rasenkante, vielleicht aber auch nicht. Da befand sich jedenfalls das Edda-Schlößchen, für Görings kleine Tochter. Danach geht es noch zur Gruft, die nun wieder am Wuckersee liegt. Und dort ist sie beerdigt gewesen, die Namensgeberin des Landsitzes: Karin von Fock, Görings erste Ehefrau. 1931 gestorben und in den Folgejahren von ihrem Mann geradezu kultisch verehrt. Nach dem Krieg sprengte man die Grabanlage, und so sind auch hier nur verstreute Granittrümmer und größere Erdlöcher zu sehen. Knopf erzählt die schaurige Geschichte von herumliegenden Knochen, Karins Exhumierung und ihrer Rückkehr ins heimatliche Familiengrab nach Schweden. An den Geburtstagen Hitlers und Görings kämen schon gewisse Leute hierher und zündeten Kerzen an, so heißt es. Ansonsten versuchten natürlich immer wieder Schatzsucher ihr Glück. Heute gibt es allerdings bis auf ein Ehepaar aus Sachsen-Anhalt keine Schatzsucher, aber das hat immerhin schon einen braunen Ziegelstein gefunden. Außerdem sind da noch ein Radfahrer mit großem Hund und ein zünftig gekleideter Förster mit kleinem Hund. Der Förster wird ungefähr zehnmal gefragt, ob er hier der Förster sei, und genausooft kann er erwidern, daß er Förster sei, aber nicht direkt von hier, sondern vom Nachbarrevier.

Wenn der Verlag zeigen wollte, daß eine Vorstellung von diesem Ort der deutschen Geschichte ohne das, was die Autoren in ihrem Buch zusammengetragen haben, schier nicht möglich ist, dann ist ihm das durchaus gelungen.

Die zweite Etappe der Veranstaltung führt die Beteiligten zu Görings ehemaligem Gästehaus am anderen Ufer des Großen Döllnsees. In der DDR als Gästehaus der Regierung genutzt, nennt es sich heute Conference-Hotel. Hier ist für die Teilnehmer der Exkursion ein Büfett aufgebaut, das in einem Tempo geräumt wird, als handele es sich um eine Aktion der Welthungerhilfe für in Not geratene Journalisten.

Zu Beginn der Pressekonferenz ordnet Christoph Links das Buch in die Reihe des Verlages zur Topographie deutscher Geschichte ein, in der bislang u. a. Bücher zum Obersalzberg (Ulrich Chaussy/Christoph Püschner: Nachbar Hitler - Führerkult und Heimatzerstörung am Obersalzberg) und zu Prora (Jürgen Rostock/Franz Zadnicek: Paradiesruinen - Das KdF-Seebad der Zwanzigtausend auf Rügen) erschienen sind. Stefan Martens informiert, daß seine Darstellung Görings in dem vorliegenden Buch auf seiner Doktorarbeit beruht, die er vor 15 Jahren verfaßte. Für ihn ergab die Verknüpfung von Baugeschichte und Biographie interessante Erkenntnisse darüber, wie sich Görings persönliche Lebensplanung mit seinen politischen Ambitionen deckte. Das Bild des zweiten Mannes im Reich hinter Hitler, führt Martens aus, beruhe vielerorts noch auf Klischees, die mit den Stichworten ordenverliebt, drogensüchtig und Luftwaffe verbunden sind. Göring habe die gleichen Ziele wie Hitler verfolgt, wollte aber nicht den gleichen Preis dafür zahlen, sondern diese Ziele durchsetzen, ohne die Sicherheit des Reiches zu gefährden. Göring war immer ein nötiges Instrument für Hitler. Er hatte zwar eigene Vorstellungen, die aber nie dazu führten, daß er sich von Hitler trennte. Göring, so stellt Martens dar, verlor bereits nach dem Münchener Abkommen 1938 zunehmend an Macht und zog sich ab 1942 aus allen wesentlichen Bereichen zurück. Statt dessen stieg seine Prunksucht umgekehrt proportional zu seinem Einfluß. Zeugnis dafür waren der weitere Ausbau Carinhalls und die hier angehäuften Kunstschätze aus ganz Europa. Martens verweist auf die Schwierigkeiten bei der Recherche zu einer Biographie des Reichsmarschalls, da der persönliche Nachlaß Görings einschließlich der Tagebücher zum Kriegsende von Carinhall auf den Obersalzberg verbracht wurde und anschließend verschwand. Auf die Frage, ob die Veröffentlichung „braune Horden“ auf den Ort aufmerksam machen könnte, entgegnet Links, daß nach seinen Erfahrungen die Bücher zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen würden. Als Sachbuchverlag für deutsche Zeitgeschichte wende sich der Verlag Themen zu, die in der DDR tabuisiert und verdrängt wurden. Das seien neben dem Stalinismus auch Themen der NS-Geschichte. Carinhall war in der DDR gesperrtes Gebiet, und gesperrte Gebiete wären immer ideale Orte der Mythenbildung. Links plädiert dafür, an Orte zu erinnern, an denen sich Geschichte zugetragen hat, und sieht keine Gefahr für ein rechtes Walhalla. Diese Meinung teilt auch Martens, der gleichzeitig davor warnt, derartige Themen von Historikern unbesetzt zu lassen.

Der Links-Verlag wird in diesem Sinne weitermachen. Schließlich gibt es noch viele geschichtsträchtige Flecken, an die zu erinnern sich lohnt. So gehört zu den nächsten Plänen des Verlages ein Buch über das Führerhauptquartier in Ostpreußen - die Wolfsschanze bei Rastenburg.

Es gibt ja viele gute Gründe, in die Masuren zu fahren. Eines der größten Waldgebiete Europas mit malerischen Seen erstreckt sich hier. Doch wer sich demnächst in der Nähe von Rastenburg einfindet, den könnte vielleicht noch ein anderes Motiv dorthin geführt haben, als die schöne Landschaft zu genießen - wenn nämlich der Christoph Links Verlag zu einer Presseexkursion zur Wolfsschanze einladen würde ...


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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