Eine Rezension von Herbert Mayer


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In Frankreich geehrt - in Deutschland die Einbürgerung verweigert

 

Karl-Heinz Jahnke: Sie haben nie aufgegeben
Ettie und Peter Gingold - Widerstand in Frankreich und Deutschland.
Vorwort Pierre Kaldor.

Pahl-Rugenstein Verlag Nachf., Bonn 1998, 256 S.

 

 

Es spricht für die Bescheidenheit von Ettie und Peter Gingold, nicht selbst eine umfangreiche Autobiographie vorgelegt zu haben. Material dafür bietet ihr Leben in Hülle und Fülle. Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen sind durchaus von Gewicht, gewichtiger als die selbstgefälligen Darstellungen mancher Autobiographen. Über die Familie Gingold liegen daher bereits mehrere Publikationen vor. Karl-Heinz Jahnke gebührt das Verdienst, nun einen Überblick über die gesamte Lebensgeschichte von Peter und Ettie Gingolf verfaßt zu haben. Und er hat gut daran getan, beide selbst oft zu Wort kommen zu lassen, mit zahlreichen Zitaten, Rückblicken und Wertungen, mit Fotos und Faksimiles. Daß - wie so oft - die Frau in den Hintergrund rückt, soll hier nur konstatiert werden.

Ettie und Peter, aus politischen und rassischen Gründen von den Nazis verfolgt, lebten ab 1933 in Frankreich. Ettie Stein-Haller kam aus Rumänien, wo sie in einem kleinen Dorf 1913 geboren worden ist. Der 1916 in Aschaffenburg geborene Peter floh direkt aus dem nazistischen Deutschland in das Nachbarland. 1936 lernten sich beide in Paris kennen und lieben, 1940 heirateten sie. Beide engagierten sich in der deutschen antifaschistischen Emigration, wirkten so im Sektor Travail Allemand (Deutsche Arbeit), in der Résistance und in der 1943 gegründeten „Bewegung Freies Deutschland für den Westen“. Peter Gingold war bei der Befreiung von Paris im August 1944 dabei, diente in dem vom legendären Colonel Fabien geführten 1. Pariser Regiment und war als Frontbeauftragter des CALPO, so die französische Abkürzung für das Komitee „Freies Deutschland für den Westen“, eingesetzt.

Während nach Kriegsende fast alle Verwandten der Gingolds im Ausland blieben, ihr neues Zuhause in Frankreich, in den USA oder im heutigen Israel fanden, zog es Peter und Ettie zurück nach Deutschland. Doch die Freude über die Rückkehr war nicht ungetrübt. Aus der Verwandtschaft von Peter Gingold waren die Schwester Dora, der Bruder Leo sowie weitere sieben Familienangehörige Opfer des Holocaust geworden. Während er - von Jugoslawien über Wien - bereits im Juni 1945 nach Berlin und dann im August nach Frankfurt am Main zurückkehrte, blieb Ettie bis Anfang 1946 in Frankreich. Ein neues, demokratisches, antifaschistisches Deutschland war das Ziel, für das sie sich einsetzten, die vollständige Entmachtung von Faschismus und Militarismus hielten sie für selbstverständlich. Angesichts des Erlebten ist das konsequente Engagement beider gegen Nazismus und Krieg, das sie bis heute unvermindert - trotz der über 80 Lebensjahre - beibehalten haben, nur allzu verständlich. Geboren aus der Lehre „Nie wieder Krieg!“, protestierten sie in den 50er Jahren gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik ebenso wie gegen Atomwaffenstationierungen in den 80er Jahren.

Die Sicherung ihrer materiellen Existenz war für die beiden nach dem Kriege schwer. Während Ettie verschiedene Tätigkeiten - meist als Sekretärin - ausübte, arbeitete Peter Gingold u. a. als Funktionär für die KPD in Hessen und im KPD-Parteivorstand. Mit dem KPD-Verbot 1956 verloren beide ihre Arbeit, erst in 60er Jahren hatten sie sich eine gesicherte Existenz aufgebaut.

Doch Ende der 60er Jahre befanden Behörden beim Umtausch der Personalausweise plötzlich, daß sie keine korrekten Unterlagen über ihre Staatsbürgerschaft besäßen und daher keine deutschen Staatsbürger seien. Und das, obwohl Peter Gingold 1953 für den Deutschen Bundestag kandidiert hatte. Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher verweigerte ihnen die Zustimmung zu einer Einbürgerung. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb damals als Titelstory: „In Paris bekam er einen Orden. Deutsche Behörden verweigern einem Kommunisten die Einbürgerung“. Bundeskanzler Willy Brandt verwandte sich für ihn, doch Genscher ließ darauf verweisen, daß „jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich unter eigener Verantwortung leitet“, daher „besteht für den Bundeskanzler keine Möglichkeit, auf die Entscheidung weiteren Einfluß zu nehmen“. Schließlich entschied 1974 das Bundesverwaltungsgericht zugunsten der Staatsbürgerschaft und beendete damit die sechsjährige Auseinandersetzung. Aber sofort sorgte die Gingold-Tochter Silvia für neue Schlagzeilen, da sie auf Grundlage des sogenannten Radikalenerlasses von einem Berufsverbot als Lehrerin betroffen wurde. Als sie 1977 eingestellt wurde, war eine international geführte öffentliche Debatte vorausgegangen, in die selbst der französische Präsident Mitterrand eingegriffen hatte und auch das Fernsehmagazin „Panorama“ über die Familie berichtete.

Leider skizziert der Autor den Werdegang der Porträtierten in den 80er und 90er Jahren nur knapp. In den Veränderungen der Jahre 1989/90 sahen die Gingolds, ihren politischen Auffassungen entsprechend, die Chance, Fehlentwicklungen zu korrigieren, um zu einer sozial gerechten, menschenwürdigen freien und demokratischen Gesellschaft zu gelangen. Unermüdlich bleibt ihr bis heute andauerndes humanistisches und antifaschistisches Engagement, was ihr Mitwirken in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregime-Bunds der Antifaschisten“ und im Verband „Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung ,Freies Deutschland‘“, ihre aktive Geschichtsarbeit oder ihr Beitrag zur Entwicklung freundschaftlicher Kontakte zu Frankreich belegen.

Abschließend sind im Band 24 Texte von Ettie und Peter Gingolf, meist persönliche Erinnerungen und Dokumente aus ihrem Privatarchiv, abgedruckt. Unklar bleiben Kriterien und Ziel der Auswahl. So sind drei Berichte bis zum August 1944 abgedruckt, dann erfolgt ein Riesensprung in das Jahr 1975. Ist denn aus den drei Jahrzehnten dazwischen nichts Abdruckenswertes vorhanden? Zudem wäre es nicht schlecht gewesen, über das Dokumentationsarchiv des Studienkreises Deutscher Widerstand in Frankreich zumindest weitere Archivquellen heranzuziehen. Auch ein Abkürzungsverzeichnis und Personenregister hätte nicht geschadet. Das beeinträchtigt nicht die Bilanz des Bandes: Das Ehepaar Gingold verkörpert deutsche und europäische Geschichte, für sie ist Antifaschismus kein Mythos, sondern praktiziertes Leben. Uneingeschränkt zuzustimmen ist dem in den Vorbemerkungen zitierten Vorsitzenden der Visual History Foundation „Survivors of the Shoah“, Steven Spielberg. Er schrieb 1996 nach Interviews an Ettie und Peter Gingold, daß die Kenntnis ihres Lebens die Möglichkeit bietet, Geschichte besser zu verstehen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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