Eine Rezension von Hans Wiesner


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Agentin aus Überzeugung

 

Gabriele Gast: Kundschafterin des Friedens
17 Jahre Topspionin der DDR beim BND.

Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1999, 354 S.

 

 

In einer Vorbemerkung wird - ungewöhnlich für eine Autobiographie, aber in diesem Falle durchaus verständlich - darauf hingewiesen, daß die Namen der in diesem Buch vorkommenden Personen „aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes frei erfunden“ sind, „soweit es sich nicht um Personen der Zeitgeschichte handelt“. Zu letzteren gehört die Autorin seit ihrer Verhaftung 1990 selbst: Gabriele Gast, 1943 in Remscheid geboren, Politikstudentin beim westdeutschen Ostexperten Professor Mehnert in Aachen, CDU-Mitglied, langjährige Mitarbeiterin des Bundesnachrichtendienstes, von 1968 bis 1990 für dessen nachrichtendienstlichen Hauptgegner, die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) im Staatssicherheitsministerium der DDR, tätig. 1991 deshalb zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, nach vier Jahren vorzeitig entlassen und heute in einem Münchener Ingenieurbüro tätig.

Den Titel „Kundschafterin des Friedens“ - so Frau Gast in einer Talkshow - habe ihr der Verlag empfohlen. Er will auf den ersten Blick so gar nicht zu einem Buch passen, das alles andere ist als ein verklärendes Heldenepos, sich vielmehr stellenweise wie ein Krimi liest, vorwiegend aber eine Mischung aus sachlicher Schilderung, emotional gefärbtem Erlebnisbericht, kenntnisreicher Personenbeschreibung sowie politischen und juristischen Überlegungen ist. Der Titel macht aber, sicher nicht unbeabsichtigt, auf die Gruppe „Kundschafter des Friedens fordern ihr Recht“ aufmerksam, der sich Frau Gast angeschlossen hat und die sich gegen die juristische Ungleichbehandlung von Ost- und Westspionen wendet, die Freilassung aller noch inhaftierten DDR-Kundschafter sowie deren Rehabilitierung und Entschädigung fordert, „so wie es Bonn für seine eigenen Agenten und die des Westens verfügt hat“. (S.344)

Freilich: Worin denn nun konkret Frau Gasts Informationen „für den Frieden“ bestanden haben, wieso sie eine „Topspionin“ war, gegen die - so war in einer großen Illustrierten zu lesen - sich Günter Guillaume wie ein Waisenknabe ausnimmt, wird im Buch nicht so recht deutlich. Nur einmal wird es angedeutet, wenn Gabriele Gast ihren Gewissenskonflikt schildert, als sie einen behinderten Jungen an Kindes Statt annimmt und sich fragen muß, ob sie ihre Kundschaftertätigkeit fortsetzen kann: „Aufhören? Jetzt, wo die NATO mit ihrem Nachrüstungsbeschluß eine neue Runde im Rüstungswettlauf eingeläutet hat?“ (S.252) Ansonsten hält sie jene nach Ost-Berlin gegebene Information für die wichtigste, die einen KGB-Agenten vor seiner Enttarnung und Verhaftung bewahrte. (S.288) Das Buch gibt vor allem eine interessante Innenaufnahme des sich nach außen sorgfältig abschirmenden BND, bei dem sich Frau Gast im Auftrag der HVA 1973 beworben hatte und wo sie bald mit verantwortlichen Funktionen betraut wurde. Während sie einerseits die auch hier auswuchernde Bürokratie und das verbreitete Karrieredenken kritisch beleuchtet, verteidigt sie andererseits die zumeist hohe Professionalität ihrer früheren Kollegen gegen unsachliche Angriffe. Sehr differenziert schildert sie die verschiedenen Präsidenten des Dienstes, darunter den späteren Außenminister Kinkel als einen, der „verkrustete Formen“ aufbrach, „unkonventionell“ und von „zupackender Art“ war, mit seinen „rüden Umgangsformen“ aber auch manchmal abstieß. (S.217f.) Helmut Kohl, den sie bei einer Lagebesprechung im Bundeskanzleramt kennenlernte, wird von ihr als sachkundig geschildert, „detaillierter informiert, als ich es erwartet hatte“. (S.281)

Natürlich macht Frau Gast kein Hehl daraus, daß ihr die Leute der „anderen Seite“, der HVA, politisch und zumeist auch menschlich näherstanden. Vor allem Markus Wolf, den sie während ihrer Kundschaftertätigkeit siebenmal getroffen hat, der sie mit falschem Diplomatenpaß zu Treffen in noble Gästehäuser einfliegen ließ, sie dort mit selbstgefertigten Pelmenis bewirtete und sehr offene politische Gespräche mit ihr führte. Von dem sie später freilich auch menschlich enttäuscht war, weil er sich während ihrer Haftzeit zu wenig bemüht habe, die Verbindung zu ihr aufrechtzuerhalten (S. 324f.), wobei zu fragen ist, ob das zu diesem Zeitpunkt möglich und sinnvoll gewesen wäre. Es ist im Prinzip nicht neu, was wir von Gabriele Gast über die Außenarbeit der HVA erfahren, die Führung der „Mitarbeiter im Operationsgebiet“, die Nachrichtenübermittlung und Kuriertätigkeit, das Organisieren der Treffs. Aber es erhält durch sie einen sehr menschlichen Bezug und liest sich durchaus spannend. Auch ihre Anwerbung durch einen gewissen Karl-Heinz, den sie als 25jährige im damaligen Karl-Marx-Stadt bei Recherchen für ihre Dissertation „Die Frauen in der SED“ kennenlernt, in den sie sich verliebt und zu dem sie eine Zeitlang eine intime, später eine kameradschaftlich-sachliche Beziehung unterhält. In den diversen Medien ist Frau Gast deshalb zumeist als ein Opfer der „Romeo“-Praxis der HVA dargestellt worden. Auch ihr Verteidiger im Strafprozeß folgte der Linie „Spionin aus Liebe“, um damit vielleicht ein milderes Urteil zu erreichen. In ihrem Buch rückt Frau Gast dieses Bild zurecht. Sie habe vor allem aus politischen Gründen gehandelt, weil ihr die kritiklose Einbeziehung ehemaliger Nazis auch in den BND und der militante Antikommunismus in der Bundesrepublik mißfiel und weil sie vor allem hinsichtlich sozialer Sicherheit und Frauenförderung in der DDR den besseren deutschen Staat sah, dessen Auslandsnachrichtendienst erfolgreicher arbeitete, weil in ihm die politische Motivation und der menschliche Faktor offenbar eine größere Rolle spielten als beim BND.

Eindringlich beschreibt Gabriele Gast gegen Ende des Buches die bedrückende Situation während der Haftjahre, unter deren psychischen Folgen sie noch lange zu leiden hatte. Wie ein Psychokrimi liest sich am Schluß die Begegnung mit jenem Mann, dem vor allem sie die Haftjahre zu „verdanken“ hat: dem ehemaligen HVA-Oberst Karl-Christoph Großmann (nicht zu verwechseln mit dem letzten HVA-Chef Werner Großmann), der sie verriet - für einen Judaslohn, den er „wahrscheinlich in eine Nachtbar investiert“ hat, die - Zufall oder nicht - „kurz vor der Eröffnung abgebrannt“ ist. (S. 352) Alles in allem, da kann man dem Waschzettel des Verlages nur zustimmen: die außergewöhnliche Autobiographie einer Agentin aus Überzeugung.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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