Eine Rezension von Helmut Caspar


Lange mehr Last als Lust: Glasmalereien in Brandenburg

Marina Flügge: Glasmalerei in Brandenburg vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert Herausgegeben vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege.

Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1998, 240 S., zahlr. Farbabb.

 

Glasfenster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Kirchen, Rathäusern, Schlössern und privaten Wohnhäusern waren lange Zeit für Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Restauratoren kein Thema. Die häufig mittelalterlichen Vorbildern nachempfundenen Scheiben mit Bildern aus dem Alten und dem Neuen Testament, mit Bildnissen von wohlhabenden Stiftern, mit Wappen und frommen Sprüchen, auch mit Landschaften, Blumen und Tieren galten als kaum erhaltenswert. In Kunstinventaren, etwa dem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler (Dehio), nicht oder nur am Rande erwähnt, waren die Glasbilder für die auf ältere Epochen fixierten Denkmalschützer mehr Last als Lust. Sie betätigten sich noch vor nicht allzu langer Zeit durch Beseitigung der Fenster als „Flurbereiniger“, während sie gleichzeitig jede Scherbe aus mittelalterlicher Zeit sorgfältig registrierten. So sind unzählige Scheiben der Fehleinschätzung zum Opfer gefallen, bei den Glasmalereien des Historismus handle es sich um bloße Nachahmungen bewährter Vorbilder und bestensfalls gediegene Handwerksarbeit, die den Vergleich mit den „heiligen Lehrern“ des Mittelalters nicht aushält. Kirchengemein den, Hausbesitzer und kommunale Verwaltungen vermieden zudem die hohen Kosten für die Restaurierung und setzten lieber blankes Glas ein. Den Rest erledigten Vandalen, die sich als „Scheibenschießer“ betätigten.

Während die Bestandserfassung bei den mittelalterlichen Fenstern national und international bereits weit vorangeschritten ist, besteht bei den nun mittlerweile auch in ihrem künstlerischen Wert anerkannten Scheiben aus der Zeit um 1900 noch erheblicher Nachholbedarf. Was da im Land Brandenburg in den letzten 150 Jahren geschaffen wurde und trotz vieler Gefahren erhalten geblieben ist, zeigt das Buch von Marina Flügge. Der Band mit einleitenden Darlegungen über Glasherstellung und Glaskonservierung beziehungsweise über Farbverglasungen als Zeitzeugen schlägt eine Brücke vom hohen Mittelalter bis in die Gegenwart. Er eröffnet eine Publikationsreihe des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege, die die bisherigen Denkmaltopographien und Arbeitshefte ergänzen soll, wie Landeskonservator Detlef Karg im Vorwort bemerkt.

Die Autorin verweist auf die langjährigen Forschungen im Rahmen des internationalen Publikationsunternehmens „Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA - Corpus der Mittelalterlichen Glasmalerei)“, das an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist und in Potsdam eine Arbeitsstelle unterhält. Mehrere CVMA-Bände wurden bereits zu DDR-Zeiten im damaligen Institut für Denkmalpflege erarbeitet und kamen (und kommen) im Berliner Akademie Verlag heraus. Dokumentiert werden Technik, Farbigkeit und Erhaltung der Fenster, die Ikonographie, Stilistik und der Zustand der Glasmalereien sowie Aspekte der Baugeschichte.

Nach den Prinzipien des CVMA ist auch Marina Flügge bei der Erfassung des Glasmalerei-bestandes im Land Brandenburg vorgegangen, von dem sie nur eine Auswahl präsentieren kann. Die Kunsthistorikerin holt sehr qualitätvolle Verglasungen, zu finden in bescheidenen Dorf- und Stadtkirchen, aber auch Rathäusern, Gutshäusern sowie Privatwohnungen, aus dem Vergessen und weist ihnen ihren Platz in der Kunstgeschichte zu. Erläutert werden Sujets, Künstler und Hersteller, darüber hinaus der augenblickliche Zustand der Scheiben. Das Buch zeigt Traditionslinien, wenn es Glasmalereien im Brandenburger Dom oder der Marienkirche in Herzberg mit ähnlich gearbeiteten Scheiben aus der Zeit des Historismus etwa in Bernau und Heiligengrabe, ja selbst Glasfenster aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt. So schuf der Maler Charles Crodel (1894-1979) bereits 1949 neue Fenster für die Kreuzkirche in Königs Wusterhausen. Dargestellt sind in Rundfenstern die biblischen Symbole Fisch und Schiff sowie der gekreuzigte Christus und Rosen, die aus der Krippe emporwachsen. Vorgestellt werden neben vielen Kirchenfenstern in allen Regionen des Landes Brandenburg - die Palette reicht von figürlichen Darstellungen bis zu bescheidenen Ornamenten - auch eine prächtige Wappenscheibe des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg, die die Dorfkirche von Neuhardenberg schmückt, sowie im Branitzer Schloßmuseum verwahrte Arbeiten aus dem späten 15. Jahrhundert als Beispiel, daß Glasmalereien im 19. Jahrhundert auch gesammelt wurden. Bisweilen sind die Glasfenster von hochstehenden Persönlichkeiten gestiftet worden. An Albrecht den Bären, König Friedrich Wilhelm IV. und Kaiser Wilhelm II. erinnern Fenster in Klein Glienicke beziehungsweise in der Dorfkirche von Hohenfinow (Barnim). Auch in der Dorfkirche zu Bomdorf (Oder-Spree) blieb eine solche Stifterscheibe von 1876 mit einem Damenbildnis und zwei Kinderporträts erhalten, versehen mit dem für die Zeit so typischen Spruch „Wem ein tugendsames Weib bescheret ist, die viel edler, denn die köstlichsten Perlen, ihres Mannes Herz darf sich auf sie verlassen. Sie thut ihm Liebes, und kein Leides sein Leben lang“.

Daß wohlhabende Privatleute um 1900 ihre Häuser mit leuchtenden Glasmalereien schmückten, kann man unter anderem in Baruth, Eberswalde, Ganz, Potsdam und anderenorts erleben, wo sich hervorragende Zeugnisse „jugendstiliger“ und neobarocker Glasfensterkunst sowie solche in den Formen des Art déco erhalten haben. Marina Flügges Buch macht mit ihrer Beispielsammlung darauf aufmerksam, daß im Land Brandenburg (und nicht nur hier) viele von der Öffentlichkeit noch nicht entdeckte Schätze existieren, um deren Erhaltung gerungen werden muß. Nur als Archivaufnahmen kann die Autorin die mittelalterlichen Glasfenster aus der Marienkirche in Frankfurt an der Oder zeigen. Nach wie vor werden sie als „Beutekunst“ in der Petersburger Eremitage zurückgehalten. Ob sich die von der Kunsthistorikerin ausgesprochene Hoffnung erfüllt, daß die Scheiben zurückkommen und zum Jubiläum im Jahr 2003 in die Chorfenster der wiederaufgebauten Marienkirche eingefügt werden, wird von Entscheidungen in Rußland abhängen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite