Eine Rezension von Björn Berg


Großer Genießer

Alexandre Jardin: Der große Zubial

Aus dem Französischen von Veronika Cordes.

Europaverlag, München 1999, 192 S.

 

So’n richtiger, feiner, sauberer Vorzeige-Vater war er wohl nicht. Der Vater des Schriftstellers und Filmemachers Alexandre Jardin, der Filmemacher und Schriftsteller Pascal Jardin. Der Senior war zu seiner Zeit, was in seiner Zeit Bürgerschreck genannt wurde. Das Wort taucht bei dem Jüngeren nicht auf. Für den Sohn ist der Vater Der große Zubial, wie er die 16 Jahre nach dem Tode von Pascal Jardin verfaßte „Liebeserklärung an einen Vater“ nennt. Was ist ein Zubial? Ein Zauberer? Ein Drahtseilakrobat? Traumtänzer wäre schon arg daneben. Weniger daneben wäre Gaukler. Lebenskünstler wäre auch nicht schlecht. Sagen könnte man aber auch Schwerenöter und Scharlatan, Charmeur und Schwadroneur, Liebhaber und Lügenbaron. Könnte sagen: Einer, dem das Leben ein Genuß war und der den Genuß genoß. Einer, der in seiner unstillbaren Gier auf Leben nach dem Leben grapscht. Einer, für den das Unvernünftige das Vernünftige war, das Unwahrscheinliche das Wahrscheinliche. Was für ein Mensch, was für ein Mann, möchte man ausrufen! Einer, der an den Erfolg seiner Wünsche glaubt und sich so Erfolge ermöglicht. Ein Phantast, der mit Phantasie Phantasiereiche gründet. Ein Spieler, Spinner und Spötter, der durch diese Welt wie ein Wesen aus einer anderen Welt geht. Auch das könnte man glauben, denken, meinen, sagen. Woher die Lebenslust, der Lebensspaß, das Lebenstempo, dem der Sohn zu Lebzeiten in hilfloser Haßliebe verfallen war? Alexandre fragt sich: War es die Angst des Vaters, daß ihn das Korsett des Alltags erstickt? Ist sein Aufrichtigkeitsanspruch, sein Freiheitsdrang deshalb so heftig kompromißlos gewesen? Die mühsame Annäherung an den Mißverstandenen führt dazu, daß der Sohn den Vater schließlich seinen Zwillingsbruder nennt. Mehr Identifikation ist nun wahrlich nicht mehr möglich. Und wie fraglich ist die Identifikation? Alexandre Jardin quält niemand mit penetranten Episteln der Vater-Suche, Vater-Verletzungen, Vater-Verdrängung. Zu sehen gibt’s schwungvolle Szenen eines Lebens-Spielers, der der materialistischen Wirklichkeit mal den Vogel, mal den Stinkefinger zeigte, mal eine lange Nase drehte. In den Szenen sind Momente, die für einige Momente glauben lassen, mitten in einem Märchen zu sein. Im Schatten eines anderen Zauberers, der Thomas Mann hieß, sieht Pascal Jardin aus wie ein Felix Krull in Jeans. Amüsant anzuschauen. Soviel Amüsement ist selten. Mit Herz hat Alexandre Jardin von Herz zu Herz geschrieben. Selten war soviel von Herz die Rede. Alexandre spricht nie von Herzblut. Denn: Blut haben Vater und Sohn nicht in den Adern. In ihren Adern fließt Tinte. Die fließt wohl schneller, ist wohl dünner, läßt sich wohl weniger leicht halten.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

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