Eine Rezension von Edwin Kratschmer


Gespenster verscheuchen

Lutz Rathenow: Der Wettlauf mit dem Licht

Letzte Gedichte aus einem Jahrhundert.

Verlag Landpresse, Weilerswist 1999, 58 S.

 

„Letzte Gedichte aus einem Jahrhundert“ verheißt etwas großspurig der Untertitel zu Rathenows neuem Gedichtband, gut drei Dutzend Texte aus den beiden letzten Jahren. Seine Erzählungen Sisyphos (Berlin Verlag) und sein 97er Gedichtband Jahrhundert der Blicke (Verlag Landpresse) haben inzwischen dritte Auflagen. Und Rathenow hat dafür einige hochdotierte Preise erhalten. Solche Interessenbekundungen wünscht sich mancher Autor. Und es gibt sie offenbar doch, die „Liebhaber“ bibliophiler Ausgaben, denn die Landpresse müht sich um Buchkultur. Freilich zahlt der Leser eine Mark pro Text. Aber dafür hält er etwas in den Händen.

Auf seinen Lesereisen liest Rathenow indes gern auch aus Unveröffentlichtem, etwa aus seinem Autobiographie-Projekt, an dem er seit Jahren schon sitzt. Ein vielbeachteter Auszug „Und ewig währt die DDR“, kürzlich in dem Sammelband mit dem unbehaglich-provokanten Titel Die DDR wird 50 erschienen, macht Appetit. Mehrere Zeitungen druckten bereits nach. Es gibt viel Für und manches Wider. Doch decken sich die Leseeindrücke dieses fiktiven „Tagebuchs vom 1. 10. 1999“ mit denen der Texte in Der Wettlauf mit dem Licht. Rathenow wird - scheint’s - immer mehr zum gewieften Spötter, aber einer von der Sorte: Trauriger Bajazzo jongliert mit Sprache. Oder: Verstörter Elegiker serviert Sarkasmus-Mix. Oder: Lyrischer Kurzwarenhändler bietet bunte Luftballons. Nein, ein August ist er nicht, dazu ist er allzu politisiert; er ist eher einer, der seinen „Schreibturm“ - im „Wettlauf mit dem Licht“ - in einen knalligen Leuchtturm umfunktioniert hat und pfiffig mit schillernden „Signalwörtern“ blinkt. Und bald sind’s poetische Miniaturen, bald hintergründige Bonmots, bald ist’s lyrikendes Gedankenstakkato, bald liefert er gar listige Ideenblitze für vigilante Kabarettsketche. Manches stapelt er bewußt herunter zu scheinbarer Banalität, um dann die Pointe besser knallen lassen zu können. Oder er geht ganz und gar auf den Kinderspielplatz und verfällt dort dem Kasperletheater. (Sind es Texte für seinen 11jährigen Sohn Gideon, der inzwischen selber Schreibe-Preise holt?) Auch Rathenows beliebter Schlagzeilensalat findet sich wieder ein, etwa die Schnappschüsse von einem Oktobersonntag, einer dokumentarischen Katastrophencollage zum gelegentlichen Luftanhalten. Oder er liefert einen Nachtrag zu seiner Lieblings-Geschichte aus Sisyphos: Dort besagter Kleingärtner, der sich einst recht DDRhaft hinter Mauer, Stacheldraht und Tretminen verschanzt hat, besitzt jetzt Eigenheim und ein Gewehr mit Schalldämpfer, mit dem er heimlich auf Spatzen schießt. So etwas hat Pep. Oder wir sitzen im Deutschland-ICE „und verstehen uns /... / Zwei lachen nicht“. Und manchmal gibt es eine Ohrfeige, etwa wenn wer in seinem haßgeliebten Thüringen Ketchup statt Senf serviert. Oder das „Ende vom Märchen“ macht uns weis, daß sich Froschkönig und Prinzessin nach Umarmung und Erlösungskuß angewidert wieder voneinander abwenden ...

Zwischendrin läßt Rathenow die Katze aus dem Sack: „Die Zeilen fliegen Dir zu / scheuchen die Gespenster zurück.“ Da schreibt einer also, um Gespenster zu verscheuchen.


Berliner LeseZeichen, Ausgabe 6/99 (c) Edition Luisenstadt, 1999
www.luise-berlin.de

zurück zur vorherigen Seite